Früher - das sagt man so leicht - war natürlich alles besser: Erinnert sich jemand noch an die legendären Festwochen 1987, in denen man im Rahmen der Reihe Töne Gegentöne bei Konzerten von Marc Almond, Hüsker Dü und Laibach aus der Verzückung gar nicht mehr herauskam? Oder an Heiner Müller, wie er gemeinsam mit Heiner Goebbels den Mann im Fahrstuhl zum Besten gab? Das war, rückblickend, ziemlich einprägsam, inklusive aller Streitgespräche mit den Künstlern und den anderen Festwochen-Besuchern nachher. Es war Pflicht und Genuss zugleich, das mitzuerleben - nicht zuletzt, weil es damals noch entschieden weniger einschlägiges Programmangebot gab. Seither mehren sich aber die Klagen über den Einkaufsladen Festwochen. Der Ennui über vermeintlich oder tatsächlich ärgerliche Veranstaltungen rückte ebenso in den Vordergrund wie die Frage, ob es solcher Festwochen bedarf. "Jetzt wird's kritisch" lautete das Motto der diesjährigen Saison, der letzten unter der Trias Luc Bondy, Klaus-Peter Kehr und Hortensia Völckers - obwohl kaum eine Produktion heuer entsetzte Besucherbriefe wie die in der Werbekampagne zitierten nach sich gezogen haben dürfte. Kritisch? Am Dienstag verlautbarten die Festwochen, so viel Publikum wie noch nie gehabt zu haben - obwohl man als beständiger Besucher des Öfteren in schütter besuchten Vorstellungen saß. Aber vielleicht liegt das am alten Festivalproblem: Man versäumt ja immer was, und vielleicht waren die Säle anderswo überfüllt. Aber da wir hier nicht über einen Kabel-TV-Sender reden, reklamieren wir einmal: Quote ist nicht genug. Besonders auffällig war heuer ein Gestus, der es weitgehend der Kritik und dem Publikum überließ, ob und wie über Inszenierungen debattiert wurde, und produktive öffentliche Konfrontationen mit Künstlern tunlichst vermied, so unter dem Motto: Kauft Karten, lest die Programmhefte und freut euch, dass wir hier nur das Beste vom Besten liefern. Da aber derzeit nicht nur im Theater die Ansichten darüber, was das Beste ist, gehörig auseinander driften (was Luc Bondy gerne auf einen Konflikt zwischen "Jungen und Erfahrenen" verkürzt), hätte zumindest die Chance genutzt werden müssen, diese Konflikte nicht nur als Werbelinie einzubeziehen - sondern auch bei den wenigen wirklich kontroversiellen Produktionen. Zuschauerdrama Jerôme Bels Performance The Show Must Go On wäre da etwa zu nennen: schon vom Titel her ein intelligenter Beitrag zur Festwochen-Praxis der Präsentation von Kunst. Vorne agierte ein DJ (quasi als Kurator), zu dessen Liedauswahl Tänzer und Laien Ausschnitte gegenwärtiger Befindlichkeit vermittelten. Das eigentliche Drama spielte sich aber im Publikum ab: Hier traditionalistischere Besucher mit teuren Karten, die sich "das da" für ihr Geld nicht bieten lassen wollten. Dort fast aggressiv begeisterte, meist jüngere Fans, die genüsslich beobachteten, wie "denen da drüben" wieder einmal eins ausgewischt wurde: Bei Bel geht es - ähnlich wie bei Frank Castorfs Erniedrigte und Beleidigte - um veränderte Raum- und Beschleunigungssituationen, an denen sich die Kunst abarbeiten muss. Hier lustvolle Vermittlungsarbeit zwischen den individuellen Wahrnehmungen zu leisten, schien bei den Festwochen Nebensache. The show must go on. Weiter im Programm! Oder? Dieses Defizit scheint zumindest Hortensia Völckers bewusst gewesen zu sein. Mit ihrem Festival im Festival, du bist die welt im Künstlerhaus, versuchte sie sich am anderen Extrem: Permanente Kommunikation zwischen den Disziplinen bzw. Theorie und Praxis, Kunst und Rezeption. Leider scheiterte das Unternehmen immer wieder an der Verbissenheit (und Humorlosigkeit), mit der man sich hier - auch qualitativ höchst unbeständig - vom Rest des schwerfälligen Festwochen-Getriebes abzugrenzen versuchte - und damit abschottete. So weit konnte man die Künstlerhaus-Tore gar nicht aufreißen, als dass bei du bist die welt jene produktive Clubstimmung aufgekommen wäre, die angestrebt wurde. Klar wurde dabei aber eins: Wien bräuchte tatsächlich verstärkt Räume und Veranstalter, die über das Jahr hinweg solche Clubsituationen zwischen Kino, Theater und bildender Kunst schaffen. Wie positionieren sich aber in Hinkunft die Festwochen? "Kritisch" scheint derzeit vor allem ihr schwerfälliges Gehabe, das dem Kleinen, Wendigen, Subversiven kaum noch Rechnung trägt, obwohl es - siehe Schlingensiefs Aktion im Vorjahr - bitter nötig wäre: Auch als Kontrast zu den unumgänglichen kulinarischeren Highlights. "Kritisch" ist vor allem eins: Die Festwochen sind eigentlich kein Fest mehr. Gejubelt, gestritten, gelitten, gelebt wird anderswo. Etwa bei Wien ist andersrum im Europride-Zelt. Am Dienstag trat da zum Beispiel die deutsche Diseuse Cora Frost ( Bin doch'n Kerl wie'n Pfund Wurst ) auf. Rund um das kleine Zirkuszelt vor der Votivkirche wehte ein kalter Wind, aber drinnen war was, und das nennt man Atmosphäre. Und genau das hat man heuer bei den Festwochen vermisst. Luc Bondy wird 2002, im ersten Jahr seiner Alleinregentschaft, aufpassen müssen, dass sich das wirkliche Leben in der Stadt nicht noch weiter von seiner Veranstaltung entfernt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 6. 2001)