Österreich weiß wenig über sein Stummfilmerbe. Unser Projekt begegnet diesem brachliegenden kulturellen Gedächtnis sowohl mit der Sichtung und Auswertung einer Fülle wiederentdeckten Bildmaterials wie mit einem gewandelten Geschichts- und Kinobegriff. Kino produziert Realität. Die Bilder, die das Kino hervorbringt, setzen sich nicht als zweite Wirklichkeit vom gesellschaftlichen Alltag ab. In der Ästhetik des Kinos liegt seine politische Wirksamkeit. Geschichte schreiben, heißt Bezüge herstellen, konstruieren. Film wird weder als Gegenstand einer empirischen Produktionsgeschichte noch als abgeschlossene kulturelle Praxis verstanden, sondern in seinen sozialen, interkulturellen, (industrie-) politischen Verflechtungen untersucht. Wider die Auffassung von der Kontinuität der Entwicklungen gehen wir mit den Zeitebenen frei um. Die gesamte Produktion der gut dreißigjährigen Stummfilmzeit wird als gleichberechtigt nebeneinandergelagert betrachtet und entlang einzelner Themenlinien befragt, in Beziehungen gesetzt. Thematisiert werden unter anderem: - der radikale Erfahrungsbruch in Selbst- wie Alltagswahrnehmung, den das Kino an der Jahrhundertschwelle miteinleitet und dynamisiert; - der Stellenwert und die Wirkungsweisen des Dokumentarischen; - die Dramaturgie der Massen: das Ornament der Masse im Film wie die Beeinflussung der Masse im Kino; - der Hang des Stummsfilms körperliche Entgrenzung, Rauschzustände, Ekstasen ins Bild zu setzen; diese Tendenz wie ihre gesellschaftliche Relevanz werden untersucht. Die Geschichte des österreichischen Stummfilms verdeutlicht die enorme Wirkkraft technisch reproduzierter Bilder in einer genau definierten historischen Epoche. Gleichzeitig treten die emanzipatorischen Versprechen, die vor allem das ‚early cinema' gab, hervor. Sie scheinen heute nur mehr an den Rändern des Kinos auf.