Die Reform des öffentlich-rechtlichen österreichischen Radio- und Fernsehunternehmens ORF kommt demnächst ins Parlament. Die blau-schwarze Regierung tritt an mit dem Anspruch, den ORF zu "entpolitisieren". Der Begriff enthält das Eingeständnis bisherigen Missbrauchs, denn nirgends steht geschrieben, dass der ORF (partei)politischer Gängelung erliegen solle. Allerdings steht insgesamt wenig von dem geschrieben, was derzeit den ORF ausmacht; daher der Bedarf nach Reform. 1. Das Programm ORF 1 ist von einem Privatsender kaum zu unterscheiden. Das ist insofern anfechtbar, als es dem öffentlich-rechtlichen Auftrag widerspricht, der den Anspruch auf Gebühren begründet. Information, theoretisch ein prägendes Element öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ist fast inexistent. Der ORF ist eine Medienmaschine geworden, die viele kommerzielle Gassen fegt. Dies geschah unter dem Schutz des Monopols, denn nach wie vor ist terrestrisches (also nicht über Kabel oder Satellit verbreitetes) Privatfernsehen in Österreich verboten. Die ORF-Reform ist nichts weiter als die Gegenpartie zur Öffnung des Marktes. Freie Köpfe gesucht 2. Die Politisierung des ORF ist legendär; unverhohlene Interventionen von Politikern sind Legion. Zwischen den Generalsekretariaten von ORF und SPÖ gab es mehr als einmal einen fliegenden Wechsel. Die Landeshauptleute - mehrheitlich zur ÖVP gehörig - haben in den neun Landesstudios des ORF eine Art Palastrundfunk zu ihrer Verfügung. Im Kuratorium des ORF pflegen sie alle mitzumischen, Landeshauptleute, Parlamentarier, Wiener Stadträtinnen, sonstige Politiker oder Parteisekretäre, um nicht zu sagen Politkommissare. 3. Die blau-schwarze Koalition erhält in der Öffentlichkeit kaum Lob für ihre Absicht, Privaten endlich den Zutritt zum terrestrischen Markt zu öffnen. Stattdessen gilt es als korrekt, sich hinter den Starken zu scharen, diesmal in Gestalt des ORF, um diesem ein Maximum seiner Vormacht zu bewahren. Dafür, dass Machtkonzentration zu Missbrauch führt, ist der ORF ein hervorragendes Beispiel. Die Politik nimmt endlich die Dinge in die Hand, statt sie dem ORF zu überlassen. Gleichzeitig müsste sie sich aber damit begnügen, die Rahmenbedingungen festzulegen. Zu glauben, dass FPÖ und ÖVP diese staatspolitisch notwendige Zucht aufbringen, fällt naturgemäß schwer. 4. Der ORF soll in eine Stiftung umgewandelt werden. Im Kuratorium, aus dem ein Stiftungsrat wird, dürfen keine Politiker oder Parteimitarbeiter mehr sitzen. Das Recht, die Mitglieder des Stiftungsrates zu ernennen, bleibt hingegen bei Regierung, Parteien, Parlament, Ländern und Betriebsrat . . . Manche kritisieren, die Regierungsparteien rissen sich in ihrem Machtrausch den ORF unter den Nagel. Wahr ist, dass sich Unabhängigkeit und Autonomie einer Person nicht per Gesetz dekretieren lassen; dass diese Eigenschaften in Österreich wenig kultiviert sind, ist nicht der Fehler erst dieser Regierung. Zu prüfen wäre, ob das Gesetz es geeigneten Leuten gestatten würde, die festgeschriebenen Ziele zu verwirklichen. Warum dies nicht möglich sein soll, verbirgt sich dem Laien. Der Mediensprecher der SPÖ, Josef Cap - ein Mitglied des Kuratoriums -, behauptet, die Regierung wolle "die totale Kontrolle über den ORF". Die Gegner der Reform nehmen offenbar an, die Verantwortlichen handelten auch in Zukunft so wie ihre Vorgänger: anders, als Gesetz und Verfassung vorsahen. Im Zeichen der "Krone" 5. Die Führung des ORF läuft Sturm gegen die Reform. Das ist ein gutes Zeichen, denn eine schmerzlose Reform wäre so schlecht wie gar keine. Es ist schwer zu widerlegen, dass der ORF in verschiedener Hinsicht zurechtgestutzt gehört. Er besitzt nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Radio ein erdrückendes Übergewicht und kann quer durch die Kanäle für die jeweils anderen werben. Dies und einiges mehr würde mit dem neuen Gesetz unterbunden. Wichtigster Verbündeter des ORF im Abwehrkampf ist die Kronen Zeitung. Deren Verquickung mit dem ORF ist unübersehbar; somit wäre deren Zustimmung zur geplanten Neuordnung ein beunruhigendes Zeichen gewesen. Die Krone ficht mit dem Slogan: "Der ORF in Bürgerhand!"; sie hat Weis in einer Schlagzeile auf dem Titelblatt bescheinigt, er kämpfe wie ein Löwe um den ORF. Mangels eines zentralen Gehirns, das die Bürgerhand steuern könnte, versteht sich die Krone als dessen Stellvertreterin. 6. Der Gesetzentwurf will gewisse Formen, vor allem Auswüchse der Werbung, eindämmen, etwa die Unterbrechung einer Sendung zum Zweck der Werbung oder das Product-Placement. Im Hintergrund solcher Maßnahmen steht die Sorge um Beeinflussbarkeit, Unabhängigkeit und Rundfunkfreiheit. Gerhard Weis versucht, Erträge aus Sonderformen der Werbung damit zu rechtfertigen, dass der ORF damit etwa Filmförderung finanziere. Dies ist jedoch ein irrelevantes Argument, sofern die Praxis die Rundfunkfreiheit beeinträchtigt. Jenseits der Scham 7. Gemäß dem neuen Gesetz wäre ferner die Unabhängigkeit des redaktionellen Personals nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht. Als Institutionen, von denen Journalistinnen oder Journalisten abhängig sein könnten, sind Parteien sowie andere Medien ausdrücklich genannt. Gute Quellen berichten, wie der ORF mit einem anderen Medienkoloss Österreichs umgehe, der News-Gruppe, die ihrerseits mit der Krone verbandelt ist. Die Werbung im Fernsehen werde dem ORF nicht in Geld entgolten, sondern durch ständigen publizistischen Werbetrommel-Wirbel in den diversen Magazinen der News-Gruppe. Verrechnet werde, so heißt es, überdies mit riesigem Rabatt. Die wechselseitige Vermarktung zählt zu jenen Elementen, bei denen der ORF jedes öffentlich-rechtliche Schamgefühl längst überwunden hat. Unter dem neuen Gesetz dürften Zeitungen und Magazine nur noch zwei Minuten pro Woche werben, und nur mit ihrem Titel, nicht mit Hinweisen auf ihren Inhalt . . . Insgesamt legt der Streit um den Sender offen, wie viele Machtpositionen auf dem Spiel stehen. Missbrauch des ORF und durch den ORF ist die faule Frucht seiner Monopolstellung. Die jetzige Reform hätte jenen Schaden zu bewältigen, den langes Versäumnis angerichtet hat. Die Kontrolle über den ORF hat versagt - und damit das bisherige Modell seiner Organisation. Herrschte Medienfreiheit, wäre dies wohl verfassungswidrig, da es dem ORF einen Wettbewerbsvorteil beschert. Dass keine Medienfreiheit herrscht, ist ohnehin verfassungswidrig, kümmert aber die wenigsten. (Kurzfassung eines Beitrags für die "Neue Zürcher Zeitung" vom 22. 6.) (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. Juni 2001)