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"Der Dracula des Internetzeitalters" ist nun auch im Kino wieder zurückgekehrt: In Ridley Scotts Verfilmung von Thomas Harris' Bestseller "Hannibal" darf Anthony Hopkins einmal mehr launig über Leibspeisen eines Kannibalen philosophieren, wird darüber aber, wie Claus Philipp meint, fast schon zu liebenswert. Ich erwäge ernsthaft, Ihre Frau zum Abendessen . . ." - nein, wenn Anthony Hopkins einem Polizisten in Florenz diese Worte zuraunt, als wäre jede Silbe eine Delikatesse, dann ist kaum mit einer konventionellen Einladung zu rechnen. Und Inspektor Pazzi (Giancarlo Giannini), der wenige Minuten vorher dachte, er könne mit Dr. Han-nibal Lecter Millionen verdienen, wird Sekunden später einen Judastod sterben, wie ihn Lecter ausgiebig auf mittelalterlichen Fresken studierte. Die Statuen vor dem Palazzo werfen im Mondlicht groteske Schatten, und Hannibal , der Film, erreicht opernhafte Wucht, während sich offenbar auch Hopkins in seiner - ja, man darf es sagen - Leib-und-Magen-Rolle wohl fühlt. Der berühmteste Kannibale des Kinos ist zurück. Unzählige Drehbuchautoren wurden verschlissen, bis am Ende David Mamet ( Oleanna ) und Steven Zaillian ( Schindlers Liste ) für die Adaption von Thomas Harris' Roman verantwortlich zeichnen durften. Und nachdem Jonathan Demme, einst Regisseur von Das Schweigen der Lämmer , sowie Jodie Foster (damals als FBI-Agentin Clarice Starling oscarprämiert wie Hopkins als "Hannibal the Cannibal") ihre Beteiligung an einer Verfilmung kurzfristig abgesagt hatten, erfolgte ihre Nachbesetzung nicht minder aufwendig. Aber vielleicht muss man noch weiter zurückblenden, um besser zu verstehen, warum nun letztlich Ridley Scott ( Blade Runner , Alien , Gladiator ) fast opernhaft Schauder und Erregung zelebriert. Han- nibal, der mittlerweile dritte Lecter-Film, verhält sich in diesem Gestus nämlich ähnlich wie Coppolas letzter Godfather- Film, der auf einen Gangsterfilm und eine komplexe Machtanalyse kunstvolle Überhöhung folgen ließ. In Red Dragon , jenem Thriller, in dem der US-Schriftsteller Thomas Harris erstmals den kannibalischen Psychiater Dr. Hannibal Lecter auftreten ließ, musste man den Unhold noch im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses besuchen. Und auch Michael Manns Verfilmung dieses Romans war 1986 noch ein relativ konventionell konzipierter Cop-Thriller - wenn man von der Mitte der Achtziger einsetzenden Mode absieht, Polizisten und Verbrecher gleichsam aus demselben Holz geschnitzt zu sehen. Schauermärchen Das Schweigen der Lämmer ging da schon weiter - und bewegte sich gleichzeitig zurück in Richtung romantischer Schauermärchen, als zwischen der FBI-Agentin und Lecter eigentümlich erotische Spannung aufkam. Harris trieb hier das Vexierspiel mit Licht und Schatten weiter; Jonathan Demme inszenierte es auch als großartige Abhandlung über die US-Mythenlandschaft - über Finsternis und Phantasmen hinter banal wiederholten Fassaden. Seither ist "Hannibal the Cannibal", wie Harris später selbst einmal schrieb, der "Dracula des Internetzeitalters". Über zehn Jahre tüftelte der Autor in weiterer Folge an jenem heftig umstrittenen dritten Teil seiner Trilogie, der zwar nur Hannibal im Titel trägt, gleichzeitig aber einen verstörenden Reigen defekter Charaktere entwirft, die alle in einem Halbdunkel quälender Obsessionen verstrickt und nicht mehr eindeutig den Kategorien von Tätern und Opfern zuzurechnen sind: Eine Verbrecherin sucht Deckung hinter ihrem Baby. Ein verstümmeltes Opfer Lecters ersinnt sadistische Tötungsrituale. Das Hirn eines korrupten Polizisten erweist sich immerhin als Delikatesse. Solche genussvoll vorgetragenen Geschmacklosigkeiten ließen vor allem Hollywoods Erfolgsspekulanten den Atem stocken: Dass Scott und die Drehbuchautoren sie nicht unterschlagen, nötigt Respekt ab, wiewohl die opulente Inszenierung, die im Ambiente von Florenz einen frühen Höhepunkt erreicht, auf Dauer den Horror verharmlost. "Goody-goody", raunt Hop- kins, oder "Okey-dokey" oder triumphierend: "Tata!" - Und das geschieht vielleicht ein paar Mal zu oft und zu liebenswert, um den jähen Gewaltausbrüchen gerecht zu werden, die Scott zu Beginn einmal herbeizitiert. Wie überhaupt Zitate und Variationen bekannter Szenen den Film sehr entscheidend prägen. Scott, dessen Figuren immer schon gerne durch Bildungstreibgüter flanierten, ohne dabei so etwas wie Psychologie und Konturen zu gewinnen, versucht permanent, etwa Das Schweigen der Lämmer unter anderen Kunstlichtverhältnissen neu zu arrangieren, am drastischsten vielleicht, wenn Lecter mit der berühmten Maske diesmal nicht dem Mob, sondern einer Herde menschenfressender Schweine ausgeliefert ist. Das erzeugt kaum noch Schrecken und erst recht nicht das delikate Grauen, das bei Demme allein durch die Ahnung entstand, dass Lecter jemanden auch nur anfassen könnte. In dieser Hinsicht hat Hopkins nun kaum Berührungsängste - und balanciert in köstlicher Sprachmodulation hart am Rand der Selbstpersiflage, die sich Thomas Harris so grimmig verbat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 2. 2001)