Wer wissen will, wie Wien mit seinen Kinos umgeht oder die Kinos mit Wien, sollte sich, falls es ihn nicht zu sehr irritiert, auch mit der Urzeit des Kinos befassen, ihren Fiktionen und Möglichkeiten. "Vom Schwarzenbergplatz blickt man auf den Hochstrahlbrunnen", heißt es im Bezirksführer. Aber wohin blickt der Hochstrahlbrunnen, falls man ihm Blicke zumutet? Vor allem, wenn er nach 22 Uhr seine Selbstdefinition unter dem Wasserspiegel finden muss? Viel früher und auch viel schlechter beleuchtet, hieß das Stadtkino "Schwarzenbergkino". Damals in seiner Urzeit kürzte eine junge Kinogängerin gegen 22.30 Uhr ihren Heimweg entscheidend ab. Sie wurde in der kleinen Anlage unterhalb des Schwarzenbergpalais erwürgt oder niedergestochen und kam zu keinem Kommentar mehr. In der Mädchenschule am Rennweg sprach man lange davon. Die "Messerstecherischen" nannte um 1941 die Mutter einer Schulfreundin eher anerkennend die Clans der Jungen, denen eine ihrer und auch einige andere Töchter zeitweise verfallen waren. Zu den Messerstecherischen gehörten Jungen mit Hasenscharten, langen Haaren, Plattfüßen oder anderen behördlich wenig anerkannten Missbildungen. "Schlurfs" wurden sie im damaligen Wiener Jargon genannt. Bald darauf schlossen wegen Strommangels behördlich auch die Kinos endgültig, zum Schreck von Eva Braun, der Freundin Hitlers, die außer einer teuren Frisur nichts mehr wollte. Wann das Schwarzenbergkino geschlossen oder wieder eröffnet wurde, könnten Filmchronisten feststellen, auch, ob es überhaupt existierte und unter welchem Code. Es hatte die Leichtigkeit des Nichtseins. Oublie moi gab es jedenfalls am 28. Juni 2001 um 18 Uhr zehn im Stadtkino: Eine Frau am Rand eines Nervenzusammenbruchs kann die flapsigen Bewegungen, mit denen sich Männer aus ihrem Leben stehlen, nicht mehr akzeptieren. Anschließend kann man sich mit A Long Night's Journey into Day über eine leichte Müdigkeit hinweghelfen. Und ob man dann zu müde oder noch nicht müde genug ist, man findet gelassener heim und fällt dem kleinen Bruder des Todes hoffentlich leichter in die Arme. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 6.7.2001)