Standard: Integration ist derzeit ein Bundesthema. Wie geht es in Wien weiter?>

Häupl: Wir werden den Integrationskurs fortsetzen und binnen Jahresfrist das Wahlrecht für Ausländer auf Bezirksebene beschließen. Ob sie wählen dürfen, wenn sie acht oder fünf Jahre hier leben, wird diskutiert. Vom Bund fordern wir, dass wer hier lebt, auch arbeiten darf.

STANDARD: Sie haben den Gemeindebau teils für Ausländer geöffnet. Bleibt es bei teils?

Häupl: Weitere Öffnungsschritte werden folgen, aber behutsam. Im Gemeindebau darf es nicht zu sozialer Segregation kommen. Der Gemeindebau ist kein gesellschaftlicher Mistkübel, sondern ein Steuerungsinstrument.

STANDARD: Braucht Wien mehr Zuwanderer?

Häupl: Wichtig ist mir die Familienzusammenführung. Es ist ein humanes Grundrecht, mit Familie zu leben. Daher soll die Zahl der Leute, die auf Familienzuzug warten, rasch abgebaut werden - mit Zusatzquoten. Daran hängt der Zuzug Qualifizierter: Wissenschafter kriegt man nicht, wenn ihre Familie zu Hause bleiben muss. Es gibt also humanitäre und wirtschaftliche Argumente für Großzügigkeit bei der Familienquote.

STANDARD: Stichwort Wirtschaft. Die Konjunktur geht zurück - soll der Stabilitätspakt verschoben werden?

Häupl: Der Finanzminister hatte den schlauen Plan, dass die Staatsneuverschuldung heruntergeschraubt wird und die Länder zahlen die Chose. Der Bund macht weiter Schulden, wir in Wien müssen 4,7 Milliarden Schilling Überschuss erwirtschaften. Wir schaffen das. Wenn sich aber die Konjunktur ändert, kann das Nulldefizit kein Dogma sein - ich zitiere den Finanzminister.

STANDARD: Ist eine Steuerreform 2003 sinnvoll?

Häupl: Kleine Einkommen zu entlasten, ist sinnvoll. Aber man muss sich das leisten können. Stop-and-go-Politik, zuerst Steuerreform, dann Sparpaket, schadet. Zudem: Wenn wir Länder zweimal zahlen - Nulldefizit und Mindereinnahmen durch die Steuerreform - schaffen wir das nicht. Die Konjunktur schwächt sich deutlich ab. Daher glaube ich nicht, dass sich die Steuerreform im Jahr 2003 ausgeht.

STANDARD: Nicht nur beim Stabilitätspakt sind Sie mit Landeshauptmann Erwin Pröll einig. Bahnt sich eine Wiedererrichtung von rot-schwarz an?

Häupl: Als Pragmatiker der Macht habe ich das Bedürfnis, dass die Regierung durch Wahlen abgelöst wird. Danach gibt es zwei Optionen: Die einfache Rot-Grün oder die kompliziertere SPÖ-ÖVP - mit einer weitgehend, auch personell, veränderten ÖVP. Die SPÖ ist gut beraten, beide Optionen im Auge zu behalten.

STANDARD: Die SP soll die Brücken zur VP nicht abbrechen?

Häupl: Das tut die SPÖ nicht. Ich glaube, dass die ÖVP nicht nur Brücken abbricht, sondern gleich auch die Schiffe verbrennt. Es gibt einige wenige in der ÖVP die wissen, dass es gut ist, mehr als eine Regierungsoption zu haben.

STANDARD: Ist so viel Porzellan zerschlagen worden, dass die ÖVP nicht mehr infrage kommt?

Häupl: Die ÖVP ist eine Partei, mit der die SPÖ grundsätzlich in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Aber es gibt in der ÖVP eine große Zahl, federführend Herr Klubobmann Andreas Khol, die dabei sind, das nötige Porzellan zu zerschlagen, damit man ja nachher nur die FPÖ als möglichen Regierungspartner hat.

STANDARD: Die Option ÖVP wird täglich geringer?

Häupl: Wenn Klubchef Khol so weitermacht, führt er die ÖVP auf einen Weg - und er handelt sicher im Einklang mit dem Bundeskanzler - der auf die Strategie zurückzuführen ist, dass es nur die Option FPÖ gibt. Man schmeißt Rote hinaus, um Blaue hineinzusetzen. Und die ÖVP schweigt dazu, dass die FPÖ dabei ist, die Sozialpartnerschaft zu zerschlagen.

STANDARD: Vor Koalitionsüberlegungen muss die SPÖ die Wahl gewinnen.

Häupl: Die SPÖ muss in allererster Linie darauf schauen, dass sie klar Konzepte vorlegt, wie das teils schon begonnen hat. Es geht in erster Linie darum, der sozialen Demontagepolitik der Regierung neben der Kritik auch eigene Konzeptionen entgegenzusetzen, etwa zur Steuerreform. Nur Nein sagen ist zu wenig.

STANDARD: Weiß das auch SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer? Er ist kaum präsent.

Häupl: Ich nehme Ihre Meinung zur Kenntnis, teile sie aber nicht. Gusenbauer hat gute Arbeit geleistet, jetzt geht es darum, die weitere Phase einzuleiten. Dass er nicht jedermanns Liebling sein wird, liegt auf der Hand.

STANDARD: Wird es einen anderen Kanzlerkandidaten als Gusenbauer geben?

Häupl: Ganz sicher nicht.

STANDARD: Testen Sie in Wien die Regierungsfähigkeit der Grünen?

Häupl: Ich habe mir fest vorgenommen, meine Politikberatertätigkeit für andere Parteien einzustellen. Aber ich verhehle nicht, dass es bei den Grünen auf Wiener Ebene eine strategisch angelegte Linie gibt, im Vorfeld der Nationalratswahl konkrete Projekte zu erproben. Aber es gibt auch dort eine andere, fundamentalistischere Linie - genau so wie im Bund.

Wien ist nicht das Testlabor für den Bund. Aber ich verhehle nicht, dass wir mit unseren mit den Grünen gemeinsam diskutierten Projekten in Wien auch die Regierungsfähigkeit der Grünen erproben. Aber natürlich hätte eine rot-grüne Regierung ähnliche Anlaufschwierigkeiten wie in Deutschland. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15. Juli 2001)