Napster darf "bis auf weitere gerichtliche Anordnung" Musik im Internet tauschen, entschied ein Berufungsgericht in San Francisco in der Nacht auf Donnerstag. Und hob damit das gerade ein Wochen alte Urteil auf, wonach die Online-Musikbörse erst dann wieder ans Netz gehen dürfe, wenn ihre Filter 100-prozentig funktionieren. Diese Filter sollen alle urheberrechtlich geschützten Musikdateien von der Tauschbörse verbannen.Kostenplichtiger Abodienst Napster geht aber trotz des vorübergehend grünen Lichts nicht sofort wieder ans Netz. Denn das System soll in einen kostenpflichtigen Abodienst gewandelt werden, unterstützt von mächtigen Playern der Musikindustrie. Ursprünglich vom Collegestudenten Shawn Fanning zwecks Austausch von MP3-Musikdateien im Studentenheim erfunden, wurde Napster von der Musik- und Softwareindustrie wegen Copyrightverletzung buchstäblich in Grund und Boden geklagt. Die Industrie - namentlich der Bertelsmann-Konzern im Verbund mit Time Warner, EMI und dem Softwarehaus RealAudio - hat das innovative Napster geschnupft und will mit dem Nachfolgeprojekt MusicNet jetzt abstauben. Für die Industrie steht einiges auf dem Spiel. Eine US-Studie erhob, dass knapp sechs Prozent der Amerikaner im Alter zwischen 16 und 40 keine einzige CD im vergangenen Jahr gekauft haben, dafür aber heftig Musik aus dem Web geladen haben. Gratis und unter Missachtung aller Rechte, die bei der Industrie liegen. Bei Napster sollen es in den besten Zeiten 60 Millionen User gewesen sein. Fingerzeig Die Zahlen scheinen vorderhand wenig erschreckend, sind aber ein Fingerzeig. Schließlich, so meinen Experten, stehe die Peer-to-Peer-Technologie (P2P), der direkte Dateiaustausch zwischen Computern ohne Server, ungefähr dort, wo das Internet im Jahr 1993 gestanden sei. Auch die Qualität der komprimierten Musikdateien wird laufend besser. Das neue MP3pro-Format verbraucht die Hälfte des Speicherplatzes im Vergleich zu herkömmlichen MP3-Dateien bei CD-ähnlicher Klangqualität. Rettungsversuch Indessen versucht Napster, sich selbst zu retten. Die Betaversion des kommenden neuen Napster-Programms soll bald ausgeschickt werden, heißt es in einer Mail an die eine Million Interessenten, die sich vor zwei Monaten als Betatester angedient hatten. "Napster ist nur so stark wie die Community, die am Filesharing teilnimmt", heißt es darin. Beobachter wie die Agentur WebNoize, bezweifeln aber, dass es die viel beschworene Community überhaupt noch gibt. Skeptisch sollen Insidern zufolge auch schon die Bosse der Musikindustrie werden. Der Sommer 2001, in dem sowohl Napster-Nachfolger MusicNet sowie das Pedant von Microsoft und Yahoo!, Pressplay, starten sollen, ist nicht mehr so lange. Nach dem ersten Schrecken dürften nun die Erbsenzähler in den Konzernen genau nachgerechnet haben und zum Schluss gekommen sein, die Abodienste könnten vor allem der Geldverbrennung dienen. Denn diejenigen, die brav für ihre Lieblingsmusik zahlen, würden dies ohnehin schon jetzt im CD-Geschäft ihrer Wahl tun. Wie einerseits der mächtige stationäre Fachhandel - Virgin Megastore, Tower Records und Konsorten - in die Idee eingebunden werden soll, ist offen. Ebenso die Frage, wie die Einnahmen für heruntergeladene Songs mit den involvierten Künstlern abgerechnet werden sollen. Die Millionen Gratisblitzer interessiert die Napster-Diskussion nur mehr am Rande, sie tummeln sich bereits auf Plätzen wie Musiccity.com, Aimster.com oder Audiogalaxy.com. Diese sind über den Epigonenstatus längst hinaus. Die Industrie beginnt sich zwar schon einzuschießen, soweit ein neues Ziel greifbar ist. Aimster musste schon schwere Schläge einstecken und beklagt, dass sich die Plattenindustrie in einen privaten Tauschverein einmischt. Trotzdem: Der Hydra Peer-to-Peer wachsen stets neue Köpfe nach, sobald einer abgeschlagen wird. (Leo Szemeliker/DER STANDARD, Print-Ausgabe 20.7.2001)