Österreichische, insbesondere Wiener Telefonbücher sind ein schönes Argument gegen das Gerede von den "echten Österreichern". Zu den slawischen, ungarischen, italienischen etc. Namen kommen heute vermehrt solche aus entfernteren und ungewohnteren Kulturen, sie retten die Stadt, das Land vor der Forderung nach "reiner" Art und damit Verödung.

Nicht um statistisch korrekte Verteilung, sehr wohl aber um signifikante Stimmen ging es bei der Auswahl nicht hiesigstämmiger AutorInnen, die Barbara Coudenhove-Kalergi um einen Beitrag über ihre Herkunft bat. Von Tom Appleton aus Berlin mit teils iranischen Wurzeln bis Ruth Wodak, in London geboren und in Belgrad aufgewachsen, folgten insgesamt 20 großteils bekannte Österreicher der Einladung. Meine Wurzeln sind anderswo ist der Titel des Sammelbandes, zugleich Ausgangspunkt aller Beiträge. Sie bestätigen, was wohl auch die Prämisse der aus Prag stammenden und als Flüchtlingskind 1945 nach (ausgerechnet) Weißpriach im Lungau gekommenen Herausgeberin war: Eine österreichische Identität gibt es nicht. Ein gemeinsames Herkunftsgefühl haben noch eher die deutschen Schriftsteller in Israel in dem titelverwandten Band Heimat ist anderswo (1983) ausdrücken können – im vorliegenden Resümee hingegen kommen die Identitäten im Plural zu Wort.

Der ORF-Mann Franz Koessler aus Südtirol, der Autor, Übersetzer und Integrationssprecher Hikmet Kayahan aus der Türkei, die Künstlerin Adriana Czernin aus Sofia oder die vielen hier geborenen Grenz-Gänger wie Peter Vujica, Wolfgang Petritsch und Terezija Stoisits: Sie alle beziehen sich auf ein je anderes Geflecht von Familiengeschichten, politischen Einschnitten, ethnischen Ängsten und erhellenden Anekdoten im Umgang mit der real existierenden Republik.

Eine nicht immer finanzielle, aber jedenfalls gedankliche Souveränität lässt die versammelte Autorenschaft das österreichische Schicksal überwiegend gefasst, gelassen, manchmal auch heiter (eine Tipp-Fehlleistung produzierte soeben "heider") erleben. Der dreijährige Joseph Cyril Stoisits mit (groß-)elterlichen Wurzeln in Wales, in Norddeutschland und im südburgenländischen Stinatz/Stinjaki hat – durch seinen Vater Oliver Lehmann als Ghostwriter – seine Situation in Wien schön beschrieben: "Gehen oder bleiben? Zu wissen, dass wir die Wahl haben, macht es angenehmer, in dieser Stadt zu leben." (Michael Freund)