Santa Cruz/Wien – "Wenn die Westflanke des Vulkans Cumbre Vieja auf der Kanareninsel La Palma vor Westafrika ins Meer stürzen würde, könnte der dadurch ausgelöste Tsunami die amerikanischen Küsten mit bis zu 25 Meter hohen Wellen erreichen", berichtet Geophysiker Steven Ward (University of California, Santa Cruz) dem STANDARD: "Dieses Szenario ist zwar nur hypothetisch, aber keineswegs aus der Luft gegriffen."

Tsunamis sind Flutwellen, die durch geologische Gewaltereignisse – Erdbeben, Vulkanausbrüche und Bergrutsche am Meeresboden – ausgelöst werden und quer durch Ozeane wandern können. Der letzte große forderte mit einer 15-Meter-Welle 1998 auf Papua-Neuguinea 2100 Opfer; nach dem Ausbruch des Krakatau 1883 und einer 40-Meter-Welle blieben auf den Nachbarinseln 36.000 Tote zurück.

Schutthalden im Meer

Früher muss es noch gewaltigere Tsunamis gegeben haben – vor allem durch einstürzende Vulkane wie den auf Santorin, dessen Welle im Verdacht steht, vor 3500 Jahren die minoische Kultur auf Kreta ausgelöscht zu haben. "Die meisten Vulkaninseln haben am Meeresboden riesige Schutthalden von früheren Einstürzen", erklärt Ward, "härter ist der Nachweis der dadurch ausgelösten Wellen."

Eine Spur findet sich auf den Bahamas, wo vor 120.000 Jahren Korallengestein 20 Meter hoch aufs Land geworfen wurde. Kurz zuvor war auf den Kanarischen Inseln ein Vulkan in sich zusammengebrochen. Auch auf La Palma selbst gab es einen Einsturz vor etwa 566.000 Jahren, nördlich von Cumbre Vieja, einem Vulkan, der 1949 zum letzten Mal ausgebrochen ist. Damals hat sich an seiner westlichen Flanke ein Spalt aufgetan und 150 bis 500 Kubikkilometer Gestein in Absturzgefahr gebracht.

Hauptrichtung Westen

Zwar hat sich der Spalt seitdem nicht erweitert, aber ein neuer Ausbruch oder ein Erdbeben könnte das ändern. Was dann passiert, hat Ward am Computer durchgespielt: Ein Steinblock von 25 Kilometer Länge, 15 Kilometer Breite und 1,4 Kilometer Stärke würde in den Ozean stürzen, dort mit 100 Meter pro Sekunde 60 Kilometer weit in die Tiefe rasen und eine 900 Meter hohe Welle auslösen.

Die würde auch nach Osten (Afrika) und Norden (Spanien, Großbritannien) ziehen, aber die Hauptrichtung wäre Westen: Nach neun Stunden hätten die Wellen Florida erreicht und wären immer noch 20 bis 25 Meter hoch.

Trotzdem solle "niemand schlaflose Nächte verbringen", rät Ward, "so ein Ereignis kommt einmal in 10.000 Jahren." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 8. 2001)