Saalfelden - Versucht man sich - nach der Lektüre des Programmheft-Editorials - das Festival Saalfelden als Person vorzustellen, produziert das innere Auge das Gesicht eines muffig-unwirschen Zeitgenossen. Die "larmoyante Selbstbeweihräucherung desorientierter Festivalveranstalter" wird gegeißelt wie auch das lobenswerte Integrieren von Poptrends in den Jazz. Auch die Jazz-Todespropheten kriegen ihr Fett ab.

Erst beim Sprechen über sich selbst hellt sich das Antlitz von Herrn Festival auf - freundlich vermittelt er seine Absicht, sehr konzentriert Aspekte der Szene ausschnitthaft präsentieren zu wollen. Natürlich dramaturgisch logisch und mit Bedacht auf die aktuelle Vielfalt. Nun, Vielfalt ist schwer abzubilden, da bräuchte Herr Festival schon zehn Tage. Immerhin aber hat er Trompeter Dave Douglas präsentiert und damit den Wesenskern des Aktuellen schon erfasst.

Douglad der polyglotte Alleskönner

In Douglas treffen sich die Zeitgeister der Improvisationskunst; er vereint in sich jenen heute dominanten Duktus des polyglotten Alleskönners, der sein Heil in der subjektiven Auslegung des Vorhandenen sucht. Es geht nicht mehr darum, eine Sprache durchzusetzen, da es keine neue Sprache gibt. Wesentlich ist die Geburt des Individuellen aus dem Geist der Vorhandenen. Douglas' Überzeugungskraft treibt in Saalfelden witzige Blüten. Er trifft auf Freejazz-Veteranen wie Misha Mengelberg und Han Bennink, und plötzlich sind die wilden Opas in geordneten Strukturen tätig, arbeiten innerhalb einer Form. Ein kleiner Schritt für den Jazz, ein großer für die Opas, die bisher als Klassiker der Dekonstruktion agierten.

Peter Brötzmann, der behutsame Wilderer, der Improvisation von einem Dirigenten organisieren ließ

Überhaupt. Der Finaltag in Saalfelden war ein Beispiel für eine schöne verkehrte Welt: Der Klassiker des Verdreschens von Harmonie und Melodie, Peter Brötzmann, wirkte als behutsamer Wilder, der Improvisation von einem Dirigenten organisieren ließ! Dafür wirkt der subtile Louis Sclavis als Brötzmann-Reinkarnation, indem er auf Powerplay setzte.

Auch Verlässliches zugegen: John Abercrombie badete im fetten Orgelsound, blieb aber auch auf Soul-Grundlage ein subtiler Mikrochirurg der Gitarre. Elliott Sharps Gitarrenspiel gedachte Jimi Hendrix'. Logisch, dass dessen Blues-Fantasien zum Schluss als Belohnung für den Wahrnehmungsapparat empfunden wurden. Alles schön und gut. Dem Herrn Festival wünscht man aber demnächst eine Reise abseits der Agenturkataloge, auf dass er uns nächstes Jahr total überrascht. Ansonsten sprechen wir 2002 von Stagnation auf hohem Niveau und schauen drein wie Herr Festival im Editorial. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 8. 2001)