Paris - Eilig huschte er mit dem Pinsel über die Leinwand, denn er wollte schneller sein als der Tod. "Eine Prüfung an der
medizinischen Fakultät" ("Un examen a la faculte de medecine") hieß sein letztes Werk, das Henri de Toulouse-Lautrec in der Heilanstalt von
Neuilly, einem schicken Pariser Vorort, malte. Der auf dem Ölgemälde abgebildeten Doktorprüfung seines Cousins, Tapie de Celeyran,
konnte er jedoch nicht beiwohnen. Die Syphilis hatte den nur 1,50 Meter großen Körper des französischen Künstlers schon zu stark
geschwächt. Am Sonntag (9. September) wird der 100. Todestag des Malers und Grafikers begangen, der vor allem mit Plakaten für den
Pariser Vergnügungstempel Moulin Rouge berühmt wurde.
Kurzes Leben
Das Leben des verkrüppelten Montmartre-Malers war von kurzer Dauer und aus jenem Stoff, aus dem große Romane entstehen. Am 24.
November 1864 wurde der letzte Spross eines der ältesten Adelsgeschlechter Frankreichs, das königliches Blut und eine Ahnenreihe bis zu
Karl dem Großen aufweist, in der südfranzösischen Stadt Albi geboren. Nach zwei schweren Unfällen im Kindesalter - Brüche, die das
Wachstum der Beine verhindern - und ersten Symptomen einer schweren Knochenerkrankung musste er viel liegen. Mit der von den Eltern
gewünschten militärischen Karriere und dem mondänen Leben war es damit vorbei.
Statt zu reiten und zu jagen, zeichnete Toulouse-Lautrec seine Schulhefte mit Pferden, Hunden und Falken voll, widmete sich als Elfjähriger
der Ölmalerei und hatte in seiner Geburtsstadt als 17-Jähriger bereits einen Namen als Maler. Im Jahr 1882 ging er schließlich nach Paris und
nahm Unterricht bei Leon Bonnat, der überwiegend Berühmtheiten der 3. Republik porträtierte. Ihm machte es der adlige Maler wenige Jahre
später nach, als er zu Beginn der Belle Epoque, jener Zeit des dekorativen Amüsements um die Jahrhundertwende, fast alle Schaugrößen aus
dem quirligen Nachtleben des Künstler- und Vergnügungsviertels Montmartre darstellte.
Welt des Varietes
Die bunte und schlüpfrige Welt der Unterhaltungskünstler - Prostituierte, Sängerinnen, Tänzerinnen, Kabarettisten - zwischen Pigalle, Moulin
Rouge und dem Place Blanche wurde zu seiner zweiten Heimat. "Jeden Abend gehe ich in die Bars, um zu arbeiten", schrieb der
zwergenhafte Graf einst, der zum Chronisten der Pariser Boheme und Nachtschwärmer wurde. Zu Toulouse-Lautrecs Lieblingsmodellen
gehörten der Chansonnier Aristide Bruant, dessen Markenzeichen sein knallroter Schal und seine raue Stimme waren, und die
Cancan-Tänzerin Jane Avril, die im Jardin de Paris ihre schönen Beine in die Höhe schwang.
Im legendären Tanzpalast Moulin Rouge am Boulevard de Clichy war der Künstler der Nacht Stammgast. "Dort fühlte sich Lautrec wohl wie
ein Fisch im Wasser, den nur der Alkohol in den Netzen hielt", meinte ein Zeitgenosse des Grafen. Eine ganze Serie von Zeichnungen und
Plakaten widmete Toulouse-Lautrec seiner Freundin Yvette Guilbert, die in der berühmten Bar Les Ambassadeurs, in der Nähe der
Champs-Elysees, ihre Stimme zum Besten gab. Neben dieser Welt der singenden und Beine schwingenden Künstler malte er ein ganzes
Jahrzehnt immer wieder lesbische Liebschaften zwischen Prostituierten in den "maisons closes", den Pariser Lusthäusern.
Populärer Illustrator
Neben seiner Karriere als adliger Plakatmaler verdiente er sich sein Geld als populärer Illustrator mit Zeichnungen für "La Revue blanche" und
andere Magazine mit Theaterprogrammen, Einbänden und Illustrationen für Bücher.
Zu Lebzeiten war Toulouse-Lautrec hauptsächlich als Werbegrafiker und Illustrator bekannt. Als Maler verhalf ihm posthum sein Freund und
Kunsthändler Maurice Joyant zu einem Namen. Im Jahr 1902 organisierte er die erste Retrospektive, die Toulouse-Lautrec als Maler zeigte,
dessen Vorbilder Edgar Degas und Paul Cezanne waren. 20 Jahre später wurde auf seine Initiative hin in Albi das Toulouse-Lautrec-Museum
eröffnet, das die schönsten Werke und die größte Sammlung des adligen Künstlers besitzt. (APA/dpa)
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