Foto: Archiv
Man feiert heuer den 75. Geburtstag von John Coltrane . McCoy Tyner, Klavierpartner des verstorbenen Saxophonisten, feiert mit Paraphrasen über einige Kompositionen des Ekstatikers.
Von Ljubisa Tosic
Jazz darf man als eine der flüchtigen Kunstformen bezeichnen, als jene also, die von Momenten der Improvisation lebt und ihr Glück im Augenblick der Inspiration findet. So jedenfalls das manchmal erreichte, aber immerzu angestrebte Ideal. Denn: Natürlich ist der komponierte Jazz immer wichtiger geworden, aber der Traum von der Lust des Augenblicks, von spontaner Eingebung, die man nicht festhalten kann, blieb. Der Jazz ist deshalb auch eine Musikform der ständig wechselnden Beziehungen, der immer neuen Reize. Das Umtriebig-Casanovahafte ist Teil seiner Geschichte, der musikalische One-Night-Stand, der Flirt oft die Quelle seiner Qualität. Denn natürlich geht es um Kommunikation, Begegnungen, um personelle Konstellationen, die Wunderbares produzieren sollen. Und dann ist mitunter die Erstbegegnung schon die Erfüllung, das erste Gespräch das intensivste. Jazzer - oft ruhelose Seele auf der Suche nach inspirativen Situationen. Natürlich gab und gibt es im Jazz auch monogame Tendenzen und jene dauerhaften Bindungen, die bewusst eingegangen werden und im Bewusstsein gepflegt werden, dass man jemand gefunden hat, mit dem das Gespräch einfach funktioniert und der das Beste aus einem selbst herausholt. Blindes Verstehen, Erahnen von Gedanken. Die "große Liebe" in Jazz, es gab sie. Pianist Dave Brubeck und Saxophonist Paul Desmond pflogen sie; eine Art Konfliktehe gab es im distinguierten Modern Jazz Quartet zwischen Vibraphonist Milt Jackson und Pianist John Lewis - auch der Bebop wäre nichts ohne die Gemeinschaft zwischen Saxophonist Charlie Parker und Trompeter Dizzy Gillespie. Natürlich wäre auch Miles Davis und sein Sound wohl nicht dermaßen charismatisch geraten, hätte Miles nicht den Arrangeur Gil Evans gehabt, der eine entsprechende Umgebung für diesen traurigen Sound "erpinselte". Und schon sind wir bei McCoy Tyner, der seit den 60er-Jahre an der Seite von John Coltrane mehr war als ein verlässlicher Tastenbutler. Coltranes Kraft des Ekstatischen wurde vielmehr von Tyner in eine harmonische Welt transformiert, in der Polytonalität und Modalität regierten. Tyner hatte die Kraft Coltranes, seine Läufe (oft als dampfende wahnwitzige Quarten-Gänge angelegt) brannten, Tyner war der Löwe der Tasten und ein Partner, der aus Coltrane alles herausholte. Das ist lange her, Coltrane ist nicht mehr. McCoy Tyner aber ist ein Monolith des Klavierspiels geblieben. Nun hat er zum Jubiläum (man feiert heuer den 75. Geburtstag Coltranes) Kompositionen seines einstigen Freundes eingespielt und zeigt, wie sehr die Kunst des Saxophonisten Allgemeingut und Mainstream im besten Sinne des Wortes geworden ist. "McCoy Tyner Plays John Coltrane" ( Universal ) zeigt aber auch, dass hier ein Klassiker des Genres eine eigene Welt aufgebaut hat, die Bestand hat, da sie klanglich, rhythmisch und ideenmäßig auf der Stufe gelassener Meisterschaft die Befragung von Tradition vornimmt. Wie es damals in den guten wilden Zeiten geklungen hat, das lässt sich bei Jubiläen, die Wiederveröffentlichungen provozieren, auch nachhören. So darf man sich mit "The Olatunji Concert" ( Universal ) das letzte Konzert von Coltrane in Erinnerung rufen, das drei Monate vor seinem Tod stattfand. Mit brennendem Ton begibt sich der Besessene in eine freitonale Welt, die Stück werden zu Seelenporträts. Erschöpfung und Selbstentäußerung als Ziel, Intensität als das, was man hört. An Coltranes Seite übrigens auch Saxophonkollege Pharoah Sanders, auch ein Mann, der im Kapitel "dauerhafte Jazzbindung" vorzukommen hat. (DER STANDARD-RONDO, Print-Ausgabe, 2. 11. 2001)