Wels - Wir leben in einer Zeit, in der 17-jährige Mausis gleich nach dem Synchrontanz-Führerschein zu RTL 2 gehen und dort bei Popstars öffentlich vorleben, wie sehr man sich entblöden und demütigen muss, um mit unbedarftem Tralala kurz im Rampenlicht stehen zu dürfen. Bevor man dann mit 20 von einer Karriere im Vollplayback ins "seriöse" Fach wechselt und solo eine "erwachsene" Karriere startet, die darauf beruht, dass man zu viel George Michael gehört hat, wird hier also auf Geheiß von Unterhaltungskonzernen eine ganze Generation verschaukelt, die so untertänigsten Denkmustern verfällt. Zum Beispiel jenem, eine musikalische Laufbahn sei nur dann möglich, wenn man sämtliche strengen Auflagen von Safer Sex und Safer Inhalten beachtet und seine Sklavenarbeit im Rampenlicht dahingehend erfüllen kann, dass man beim Bravo -Konsumenten nicht gerade wegen seiner Renitenz auffällt. Eine Welt voller N'Syncs und No Angels. Willkommen in der Hölle. In der Medizin nennt man das Morbus Ronan Keating oder auch: Speib-Girlerei. Dazu stellt das niederländische Musikkollektiv The Ex eine dringende Frage an uns: "Are we fucked, are we nice, are we ducks, are we mice, are we men, are we mean, are we living, are we living in the dream machine?" Der zitierte Song Walt's Dizzyland befindet sich auf dem aktuellen Album Dizzy Spells des seit 1980 aktiven Quintetts aus Amsterdam. Er spuckt am Beispiel Walt Disneys nicht nur all dem oben beschriebenen Gehirnwäsche-Theater mit kratzenden Gitarren, donnernden Bässen, einem auf offene Feldschlacht programmierten Schlagzeug und übersäuerten Verbalinjurien ins Gesicht. Auf dem selbstverständlich wie eh und je im Eigenverlag veröffentlichten Album (keine Abhängigkeiten!) findet man auch durchaus mit Humor dargebrachte Zornbinkel-Attacken gegen PR-Firmen wie Burson Marsteller, die Union Carbide nach der Chemiekatastrophe im indischen Bhopal aus 1984 beriet, diversen Dritte-Welt-Regimen eine Image-Politur verschaffte, die britische Regierung beim BSE-Management unterstützte und uns derzeit die Biotechnologie schmackhaft macht: "Kiss Judas on the cheek!" The Ex gestalten heuer das Programm des verdienten musikalischen Grenzlandfestivals music unlimited (Fr, 9. 11., bis So, 11. 11.) im Welser Schlachthof mit Attraktionen wie Steve Albinis Shellac (!!!), der rumänischen Fanfare Savalle oder der italienischen Begräbniskapelle des Manu-Chao-Musikers Roy Paci. Ihr von historischen Vorbildern wie den britischen Anarchisten Crass, dem kommunitaristischen Funk der Gang of Four oder dem kalten Zynismus von Wire entlehnter Agitprop aus einer vergessenen Zeit, in der es darum ging, gegen herrschendes Unrecht im Verdachtsfall erst einmal mit Lärm zu reagieren, wird am Samstag über Wels kommen. Greift euch Gitarren, bildet Banden! Nieder mit den Zuständen! Für immer Punk! Musik ist keine Unterhaltung. Wie stand auf Woody Guthries Gitarre? "Diese Maschine tötet Faschisten!" Das mag antiquiert klingen. Dennoch sollte man sich und seine Kinder unbedingt in dieses Konzert schleppen. Wenn schon nicht von Babylon, zumindest von den No Angels sind die Bälger dann für alle Zeit geheilt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 11. 2001)