Wien - "Wir sind eingeschüchtert durch ein Europa, das uns ständig Klassenarbeiten schreiben lässt." Andrei Plesu, ehemaliger Kulturminister Rumäniens, äußerte sich bei der Tagung des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa kritisch zu den Forderungen Westeuropas für einen EU-Beitritt. Diskutiert wurde dabei der Beitrag der Kandidatenländer für das "neue Europa". Plesu hält den Vorwurf an die jungen Demokratien Mittel- und Osteuropas, sie würden kaum Ideen in den Beitrittsprozess einbringen, für nicht gerechtfertigt. Man könne von den "Patienten" nicht erwarten, innovativ zu sein, noch dazu, wenn die einzige Idee Westeuropas jene vom geeinten Europa und diese bereits älteren Ursprungs sei. Während Ungarns Staatspräsident Ferenc Mádl die kulturellen und geistigen Werte der Beitrittskandidaten betonte, konzentrierte sich Plesu auf die Hoffnungen und Ängste der Menschen in den künftigen Mitgliedsstaaten: "Wir befürchten, dass der Preis, den wir zu bezahlen haben, unsere Autonomie ist, unsere Individualität, unser Salz und Pfeffer." Die dennoch hohen Erwartungen an einen Beitritt zur Europäischen Union formuliert er provokant: "Wo ist das fette Kalb?" Wesentlich zurückhaltender äußert sich der polnische Diplomat Janusz Reiter, wenn er die Stimmung in seinem Land beschreibt. "In Polen gibt es zwei widersprüchliche Tendenzen." Einerseits mache sich eine gewisse Europamüdigkeit bemerkbar, wie es auch die Wahlen im September gezeigt hätten. Andererseits gebe es nun eine reifere Diskussion über die EU, und die Pro-Europa-Stimmen würden immer mehr, so Reiter. Polen müsse die Flucht nach vorne antreten, denn es sei "besser, initiativ zu werden, als auf Initiativen zu warten", meinte der Diplomat. Voraussetzung für eine aktive Rolle der Beitrittskandidaten sei aber deren Einbindung in laufende Diskussionen schon vor Abschluss der Verhandlungen Ende 2002. (km/DER STANDARD, Print, 12.11.2001)