Auch wenn es vermutlich nur als freundschaftlicher Scherz gedacht war: Was Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski am Dienstag in Wien zum bilateralen Verhältnis im Kontext der EU-Erweiterung sagte ("Dabei ist es nützlich, dass wir beide Länder ohne Atomkraftwerke sind"), macht deutlich, dass Österreich mit den diversen Vetodrohungen wieder einmal auf dem besten Weg ist, sich lächerlich zu machen.

Zumindest einen berufsmäßigen Beobachter dessen, was sich österreichische Außenpolitik nennt, regt das nicht mehr sonderlich auf. Weniger lächerliche als vielmehr bedrohliche Aspekte gewinnt die Sache allerdings, wenn man das Umfeld einbezieht, sowohl inner- als auch außerhalb der EU.

In ihrem Fortschrittsbericht über die Beitrittsverhandlungen hat die EU-Kommission Polen, dem mit knapp 39 Millionen Einwohnern größten Kandidatenland, soeben ein gemischtes Zeugnis ausgestellt. Lob für die Anpassung der Gesetze an EU-Normen ist begleitet von Kritik an säumiger Reform- und ineffektiver Wirtschaftspolitik (explodierendes Budgetdefizit, steigende Arbeitslosigkeit).

Es ist offenkundig, dass die EU-Kommission Rücksicht auf die heikle Situation in Polen nimmt. Seit den jüngsten Parlamentswahlen sitzen drei EU-kritische bis -feindliche Parteien im Parlament. Mit einer von ihnen, der Bauernpartei, muss die klar europa-orientierte Demokratische Linke von Premier Leszek Miller mangels Alternativen koalieren. Entsprechend hart werden die Verhandlungen über das Agrarkapitel, das schwierigste angesichts der Bedeutung der Landwirtschaft in Polen. Ohne akzeptables Ergebnis für die heute vier Millionen in der Landwirtschaft Beschäftigten wird sich die Regierung Miller schwer halten können.

Polens Umstellungsproble- me haben bereits zu Spekulationen geführt, das Land könne aus der ersten Erweiterungsrunde ausgeklammert werden. Inzwischen hat der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als Regierungschef des für Polen wichtigsten EU-Landes dies kategorisch ausgeschlossen.

Die EU hat den Kandidaten der ersten Runde einen Beitritt mit 1. Jänner 2004 in Aussicht gestellt. Falls Polen bis dahin nicht bereit ist, gibt es also nur zwei Möglichkeiten: eine politische Entscheidung für die Aufnahme Polens (wie einst im Fall des wirtschaftlich längst nicht reifen Griechenland) oder eine generelle Verschiebung der Erweiterung.

Auf Letzteres würde in der Praxis auch der jüngste französische Vorschlag hinauslaufen: nämlich gleich alle zwölf Bewerber, einschließlich der Nachzügler Rumänien und Bulgarien, auf einmal aufzunehmen. Gerade Paris hat immer wieder betont, erst müssten die EU-Institutionen für eine vergrößerte Union fit gemacht werden, und man dürfe das europäische Einigungswerk nicht als Ganzes durch zu große Eile gefährden. Nun drängt sich der Verdacht auf, Frankreich habe einen Vorwand gefunden, die von seiner Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte Erweiterung hinauszuschieben.

Ob dies nun zutrifft oder nicht: Eine um mehr als ein, zwei Jahre verzögerte Erweiterung hätte fatale Folgen vor allem in den wirtschaftlich schon reiferen Ländern (Slowenien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Estland), die sich als Geiseln fühlen würden. Es könnte stimmungsmäßig zu einem antieuropäischen Schneeballeffekt kommen, der dann vermutlich auch Polen überrollen würde. Die Integration als europäisches Friedenswerk - und das ist ja ihr eigentlicher Sinn - hätte damit einen schweren Rückschlag erlitten.

In Österreich muss man sich angesichts eines solchen Szenarios fragen, ob man mit Blockadedrohungen wie im Fall Temelín oder in der Transitfrage nicht den nützlichen Idioten für die Erweiterungsbremser in der EU spielt (die es ja nicht nur in Frankreich gibt). Den nützlichen Idioten, der sich - als Hauptprofiteur einer nach Osten ausgedehnten Union - dabei auch noch ins eigene Knie schießt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.11.2001)