In Ländern mit einem einheitlichen Schulsystem der Zehn- bis 14-Jährigen lesen Schüler im Durchschnitt am besten. So interpretiert Karl Blüml, Rechtschreibreformer, Germanist und Abteilungsleiter im Wiener Stadtschulrat, die neue OECD-Studie, an der er mitgearbeitet hat. Im Gespräch mit Martina Salomon kritisiert Blüml, dass die Zehn- bis 14- Jährigen in Österreich mit zu viel Lehrstoff belastet werden. Darunter würden "Grundfertigkeiten" wie Lesen leiden. Standard: Sind Sie überrascht vom guten Abschneiden der österreichischen Schüler? Blüml: Nein, weil wir in dieser Altersgruppe (15- und 16-Jährige, Anm.) bis jetzt immer gut waren. Das Einzige, was mich überrascht hat, war, dass wir in den Naturwissenschaften fast noch besser abschneiden als im Lesen. Standard: Was machen Länder, die vor uns liegen, besser - etwa die Finnen? Blüml: Sie lesen sehr viel - und sie haben ein einheitliches Schulsystem bis 15. Es hat sich kein Land, das ein differenziertes Schulsystem bei den Zehn- bis 14-Jährigen hat, besser positionieren können als die Länder, die nicht differenzieren. Den skandinavischen Ländern oder beispielsweise Korea gelingt es damit, den nationalen Schnitt deutlich zu heben. Wir hingegen haben eine große Schwankungsbreite: AHS- Schüler sind sehr gut. Standard: Wo gibt’s Probleme? Blüml: Bei Berufs- und Hauptschulen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass wir hier einen hohen Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache haben. Das ist bei der Studie nur in Extremfällen berücksichtigt worden. Standard: Wie könnten wir besser werden? Blüml: Ich glaube, dass wir die Zehn- bis 14-Jährigen überlasten: In der guten Absicht, die Kinder lebenstüchtig zu machen, wird so viel Lehrstoff vermittelt, dass möglicherweise die Grundfertigkeiten leiden. Schlichter Wahnsinn, was die alles lernen müssen! Erstaunlicherweise sind unsere Kinder bei der kompliziertesten Fragestellung - der Interpretation - sehr gut. Informationen aus Texten herausholen können sie wesentlich schlechter. Sie lernen somit zu früh: "Was sagt mir der Dichter" statt dass man lernt: "Was sagt mir der Fahrplan". (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 5.12.2001)