Seine duftenden Rauchschwaden durchziehen Dome und Kathedralen, er lagert in dichten Wolken über den Kultstätten dieser Erde und steigt auf unzähligen Opferaltären mit den Gebeten in den Himmel empor - und das seit Jahrhunderten. Er war einst eines der begehrtesten Handelsgüter des Orients und so hoch geschätzt, dass ihn die drei Weisen, auch bekannt als Heilige Drei Könige, gemeinsam mit Gold und Myrrhe dem Jesuskind in der Krippe verehrten. Weihrauch, auch Olibanum genannt, ist das Gummiharz bestimmter Weihrauchbaumarten (Boswellia sacra), die an der Küste des Roten Meers, in Saudi-Arabien, Somalia und Indien wachsen. Das Harz wird durch Anritzen des Stammes gewonnen, es erstarrt an der Luft zu gelblichen, rötlichen oder bräunlichen Körnern unterschiedlicher Größe, die an Bernstein erinnern. Sie riechen nur schwach und entwickeln ihr intensives Aroma erst auf glühenden Kohlen. Der Duft wird unterschiedlich beschrieben: würzig, holzig, zitrusartig, süßlich, samtig.Die besten Weihrauchqualitäten sollen aus dem Sultanat Oman kommen. Im Süden dieses Landes liegt der Gürtel der Weihrauchbäume, der sich bis in den Jemen zieht. In "Amouage", dem "Nationalparfüm" von Oman, ist Weihrauch neben Myrrhe die bestimmende Geruchskomponente, der Duft gilt übrigens auch als eines der teuersten Parfüms weltweit. Weihrauch wird aber nicht nur aufgrund seines Aromas zum Vertreiben schlechter Gerüche aus dem Haar, der Kleidung oder dem Haus verwendet. Das Harzprodukt wird in Indien und im Vorderen Orient schon seit langem auch als entzündungshemmendes und schmerzlinderndes Heilmittel geschätzt, das traditionelle indische Medizinsystem Ayurveda setzte es als Rheumamittel ein. Diese therapeutische Wirkung ist übrigens durch rezente Studien in Deutschland belegt. Weihrauch soll antiseptisch, desinfizierend, adstringierend, anregend und beruhigend zugleich wirken und sich daher bei Entzündungen der Atemwege, chronischer Bronchitis, Hals- und Rachenkatarrh, aber auch als Antiseptikum für Wunden und Geschwüre empfehlen. Ohne Weihrauch keine Zeremonie, das galt in Ägypten, Babylon, Hellas und Rom: Der Duft fördert die meditative Versenkung, mitunter wird ihm auch entrückende Wirkung zugeschrieben, er soll böse Geister vertreiben. In zahlreichen antiken und altorientalischen Kulten und Mysterien und auch im römisch-byzantinischen Hofzeremoniell wurde er eingesetzt. In dem dem Sonnengott Bel geweihten Tempel in Babylon sollen jährlich 29 Tonnen Weihrauch verbrannt worden sein. Etwa seit dem vierten Jahrhundert ist Weihrauch auch in der christlichen Liturgie gebräuchlich. Im spanischen Santiago de Compostela wird zu den hohen katholischen Feiertagen der "Botafumeiro", der größte Weihrauchkessel der Welt, in Gang gesetzt. Der Dom zu St. Stephan in Wien wird in den kommenden Wochen von besonders feinen Weihrauchschwaden durchzogen. "Bei den Festgottesdiensten verwenden wir einen speziellen Weihrauch vom Berg Athos", erklärt Dompfarrer Toni Faber. Rund zehn Kilo Weihrauch werden im Stephansdom pro Jahr verheizt, zu den hohen Feiertagen, aber auch bei Begräbnissen wird das aromatische Harz verbrannt. Weihrauch, so Dompfarrer Faber, erlebt in der Kirche in jüngster Zeit eine Renaissance. Lange als volkstümliches Beiwerk abgetan, gestehe man ihm heute wieder seine Rolle im Reich der Sinneswahrnehmung zu und billige ihn auch wieder als Symbol für Transzendentes. Schließlich, so zitiert der Dompfarrer, habe es ja schon in den Psalmen geheißen: "Wie Weihrauch steige, Herr, mein Gebet vor dir auf." In der Kosmetik ist Weihrauch aufgrund seines olfaktorischen Reichtums natürlich vor allem in der Parfümherstellung beliebt. Er ist aber auch, ebenso wie Myrrhe, ein hervorragendes Fixativ, das dafür sorgt, dass der Duft einer Parfümmischung länger haftet. Als Duftingredienz verleiht er Parfüms eine geheimnisvolle, sinnliche, dunkle Note. Er entwickelt sich auf der Haut der jeweiligen Träger sehr unterschiedlich, auf jeden Fall aber polarisiert er: Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn. Die Vorliebe für Weihrauch, die die Sanofi-Beauté-Präsidentin Chantal Roos hegt, soll nicht unerheblich bei der Entstehung des neuen Yves-Saint-Laurent-Duftes "Nu" mitgewirkt haben. Der mit Kreativdirektor Tom Ford kreierte Duft ist nicht nur von der Verpackung her äußerst ungewöhnlich. Er enthält nicht weniger als fünf Typen von Weihrauch. Bestimmend ist Weihrauch-Absolue (ein Extraktionsresultat), der dem Duft eine sinnliche und androgyne Note verleiht, ohne ihn aber zu üppig werden zu lassen. Auch in einem weiteren YSL-Produkt, nämlich im Männerduft "Kouros", ist Weihrauch enthalten. Er bestimmt die Basisnote, während er in der sportlichen Nebenlinie "Body Kouros" die Kopfnote dominiert. "Weihrauch erzeugt einen berauschenden Rauch", raunten die Werber im Vorjahr bei der Lancierung von "mania" von Giorgio Armani. Weihrauch aus Jemen und Oman dominiert die Herznote des sinnlich-orientalischen Parfüms und auch die dazugehörigen Pflegeprodukte. Ebenfalls als Weihrauch-Liebhaber outeten sich die Parfümeure von Laura Biagiotti, wenn diese Ingredienz auch nicht die Hauptnote von "Roma" oder "Sotto Voce" bestimmt. In "Noa" von Cacharel gibt Weihrauch dem romantischen Duft gemeinsam mit Moschus und Kaffee eine gehaltvolle Tiefe. In Calvin Kleins orientalischem "Obsession" schwingt er in der Basisnote mit. Wegen seiner Intensität und Herbheit ist Weihrauch auch eine beliebte Zutat für Männerparfüms. Der Oldtimer "Old Spice" hat ihn in seiner Rezeptur, neueren Datums ist "Jil Sander for Men", das delikate Holznoten mit Weihrauch und frischen Akkorden verbindet. Auch bei Gucci wird man fündig: Weihrauch ist z.B. in "Envy for men", gemeinsam mit weiteren orientalischen Wohlgerüchen wie Patschuli und Moschus, in der Herznote enthalten und auch Guccis "Rush for men" kombiniert Weihrauch mit Moschus und Hölzern. derStandard/rondo/7/12/01