murlasits
Die Insassen, eine kleine Gruppe von Friedenshelfern sind bei einem Lokalaugenschein. Unterwegs durch ein noch schwer gezeichnetes Land. Der Krieg ist zu Ende. Hauchdünn, einem zweifelhalften Schleier gleich, hängt Frieden über einer verwüsteten Landschaft. Es wird wieder viel zu tun geben, wieder aufzubauen und zu heilen. Im Augenblick jedoch erscheint alles noch zu verwundet und zu zerbrochen und muß erst gesunden, um neu begonnen zu werden. Ein Land wird aus dem Taumel des Widerstands erwachen müssen - seine Bewohner erst wieder lernen, mit dem jungen Frieden zu leben. Wir starren aus den staubigen Fenstern des holpernden Busses. Aussteigen ist nicht möglich, zu viele Landminen harren noch ihrer tödlichen Aufgabe, unentdeckt am Strassenrand- Zeugnisse unterschiedlichster Art, des Kampfes und des Überlebens erreichen uns täglich. Der Zufall führt namenlos Regie - Ein paar Blätter Papier haben den Weg in meine Hände gefunden. Sie liegen vor mir, sie sprechen zu mir, sie zaubern Bilder in meinen Kopf. Das Segment eines Lebens, die Momentaufnahme der Gedanken einer Frau, einer Unbekannten zeigt sich mir - nicht für meine Augen bestimmt und doch das Herz berührend. Wie der Duft eines fremden Gartens, der seine Botschaft dem Vorübergehenden mitteilt - und ich lese ... Stille - nichts sonst - fast Frieden. Nur hie und da ein leises Lispeln im silbrigen Laub der Olivenbäume. Selbst die Zikaden schweigen. Der Abhang des Berges ruth in sich, so scheint es. Eine Art Einsamkeit hat sich wohltuend über uns und die Natur gelegt. Die weite Ebene schweigt. Im Schutze der verrfallenen Steinmauern hocke ich und kann endlich wieder schreiben und nachdenken, nach all dieser Verwirrung - Wir sind allein, die alte Frau und ich, seit gestern. Alle sind sie fort - geflohen, vor dem gefährlich heran nahenden Krieg. Es waren nicht mehr viele im Dorf, die noch ausgeharrt haben. Ein paar Alte, einige Frauen und Kinder - die Männer hat der Krieg uns schon lange genommen. Nur die alte Frau hat sich geweigert zu gehen. Sie sei hier geboren und hier wolle sie auch sterben, ihr erster Blick solle mit ihrem letzten übereinstimmen, hat sie gesagt. Nicht einmal mit Engelszungen hätte man ihren Widerstand brechen können - und so bin ich auch geblieben. Niemand konnte so recht begreifen, warum ich diesen Ort nicht verlassen wollte. Wahrscheinlich dachten sie, ich sei der alten Frau wegen geblieben. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Selbst sie, die immer gut zu mir war, hat mich zum Aufbruch gedrängt. Doch mein Entschluß war gefaßt. Wohin hätte ich auch gehen sollen? Vor Ereignissen zu fliehen, bevor sie noch eingetroffen sind, erscheint mir sinnlos. Schließlich sind sie ohne mich abgefahren. Wir haben uns an den Händen gehalten, die alte Frau und ich, als der Konvoi den Ort verließ. Wir haben ihm noch so lange nachgeschaut, bis ihn das Flimmern der Ebenen verschluckt hatte. Sie hat meine Hand gedrückt, mit ihren kühlen schwieligen Fingern und mir ihre, von milchigen Greisen Ringen gezeichneten Augen zugewandt. "Du bist ein gutes Kind" hat sie zu mir gesagt. Und ich habe mich weg gedreht, Schamröte im Gesicht. Es war nicht nur die Sorge um einen alten Menschen, die mich hier zurückgehalten hat. Es war das Bedürfnis, dem Mann, den ich liebe, nahe zu bleiben, durch diese alte Frau, seine Mutter. Ich bin durch die leeren Gassen des Ortes geirrt. Ich habe mich gefragt, ob ich dieses Gefühl Liebe nennen darf. Dieses Gefühl von dem niemand etwas weiß, von dem niemand ahnt, daß ich es hege, selbst er nicht, ganz zu schweigen von seiner alten Mutter. "Welche Farbe hat Widerstand" hat mich eines meiner Schulkinder gefragt, nach dem der Krieg ausgebrochen war. "Schwarz" habe ich ohne zu zögern geantwortet. Schwarz wie die Angst, wie die Bedrohung und wie die Sinnlosigkeit - Die Schulkinder und ihre Fragen fehlen mir und so habe ich begonnen, mir Gedanken zu machen über Worte und über die Farben, die sie im Kopf erzeugen scheinen - und über die Farbe des Winderstands. Mein eigener Widerstand diesen Ort zu verlassen, so denke ich, galt in erster Linie dem Schicksal - und ist dennoch auf Hoffnung gegründet. Meiner Hoffnung, daß das Ende des Krieges bald kommen wird und mit ihm der Mann, den ich liebe. Die Farbe meines Widerstands ist grün. Die alte Frau und ich sind unmittelbar im Dorf geblieben. Im frühen Morgengrauen haben wir uns auf den Weg gemacht, immer bergan - Auf halber Höhe des Berges, im Gewirr von verfallenen Steinmauern, liegt ein alter Ziegenstall. Gut versteckt und fast schon überwuchert von Büschen und Dolden. An klaren Tagen kann man von hier aus die gesamte Ebenen überschauen - Hier werden wir bleiben. Bleiben und warten. Auf das Leben oder auf den Tod. Ich habe den Weg immer wieder zurück gelegt. Bei sinkender Nacht und vor Sonnenaufgang. Auf meinem Rücken habe ich herauf getragen, was wir für das Überleben brauchen - Wie lange noch? Ich habe den kargen Ertrag aus den verlassenen Gärten mit Bedacht geplündert. Ein paar Zwiebel da, dort einige Tomaten. Die jungen Erbsen sind schon reif und die Stangenbohnen stehen in voller Frucht. Manchmal gelingt es mir, den Krieg für eine Weile zu vergessen. Dann trage ich die stolze Pracht meiner heimlichen Ernte zu unserem verfallenden Versteck, bis in die Hände der alten Frau. Wie gewöhnlich sitzt sie an die Mauer gelehnt, in einer Sonneninsel und träumt. Ganz langsam scheint sie selbst die Farbe der sie umgebenden Steine anzunehmen, wei ein sich tarnendes Tier, das wehrlos ist. Oft höre ich sie vor sich hin murmeln. Sie spricht zu sich oder zu Wesenl, die nur sie sehen kann. In ihrer unsichtbaren Welt habe ich keinen Platz und so schweige ich, um sie nicht zu stören. Dann wieder beginnt sie plötzlich zu singen. Ihre hohe Greisinnen Stimme erhebt sich über die Gräser und Büsche. Dünn und zitternd, wie ein verlorener Falter im frühen Blau des Morgens. Manchmal falle ich in ihren Gesan ein und dann lächelt sie - Das sind die Augenblicke, die mir sagen, wie einfach Glück sein könnte. Unsere provisorisch errichteten Lagerstätten sind dicht beisammen und wir berühren einander mit den Händen, des nachts, wenn die Schatten der Vergangenheit uns einholen und uns nicht schlafen lassen. Meine liebsten Momente jedoch sind die, in denen sie von ihm erzählt. Von ihren jüngsten Kind. Von dem einzigen, das ihr geblieben ist. Und mein Herz saugt ihre Worte auf und die bange Sorge um ihn ist für eine Weile leichter zu ertragen. Ich sitze dann an sie gelehnt auf diesem vergessenen Hügel und wir lachen und weinen gemeinsam. Für kurze Augenblicke ist er dann bei uns - der kleine Bub mit seinen altklugen Aussagen oder der schlimme Junge mit seinen Widerständen gegen eine strenge Mutter. Aber selbst diese nehmen ausihrem Mund die Farbe der Zuversicht an - und sind golden, wie frischer Honig. Dann pirscht sich die Versuchung in unser kleines Universum und ich kann ihr nur mit Mühe widerstehen. Die Versuchung, der alten Frau alles zu erzählen über meine heimliche Liebe. Ihr zu schildern, welches Feuer mich durchfuhr, als ich ihn zum ersten Mal sah - ihn, den einsamen Mann, zu Besuch in seinem Dorf, bei seiner Mutter. Und ich, die neue Untermieterin, als Statistin bei diesem Treffen. Es war kaum Zeit einander kennen zu lernen. Da ein paar scheue Worte, dort ein jähes Lächeln ... Beim Abschied seine Hand ganz sanft und flüchtig an meiner Wange und ein Blick - ein unendlicher Blick - Das war kurz vor Ausbruch dieses Krieges. Vielleicht jage ich seither nur einer Illusion nach, einem Phantom meiner Gefühle, von dem ich nicht ahne, wie trügerisch es mich narrt. Vielleicht habe ich jedoch seinen letzten Blick richtig gedeutet und vielleicht kehrt er hier her zurück und wir sind noch da ... Der Widerstand in mir, nur einer Menschenseele davon zu erzählen, wächst von Tag zu Tag - zu groß ist meine Angst dieses Gefühl, das für mich kostbar ist, durch Worte klein und alltäglich zu machen ... Die Farbe des Widerstands ist von dunklem Blau - wie der geheimnisvolle Himmel einer verschwiegenen Sommernacht. Eine träge Harmonie hat sich über unsere Tage gelegt. Wir lassen keine Verzweiflung zu. Wir trösten einander so gut es eben geht, bei dieser ständig lauernden Gefahr und dieser undefinierbaren Angst. Manchmal sehe ich uns beide wie von weit außerhalb - zwei Frauen, jenseits aller Vernunft, vereint im Wunsch,das Schicksal zu besiegen. Wir haben uns angewöhnt, die weite Ebene unter uns mit Blicken abzusuchen und ständig zu beobachten. Trügerisch friedlich sehen wir sie da liegen. Silberne Bäume auf roter Erde - wie Filigran Schmuck auf sonnen warmer Haut - in der zitternden Sommerluft. Gegen alle Prognosen hoffen wir, daß er uns hier nicht finden wird, der Moloch des Krieges - In den letzten Tagen war mir manchmal, als hörte ich von ferne Geschützfeuer. Dann halte ich inne und kann doch nichts vernehmen, als diese laute Stille, diie uns umgibt. Dann kriecht sie in mir hoch, die heiße Furcht und die blanke Verzweiflung folgt ihr getreulich. Dann denke ich an ihn und seine sanfte Hand an meiner Wange - und ich weiß, ich werde jeder Angst und jedem Kleinmut widerstehen - und die Farbe ... Hier brechen die Aufzeichnungen ab. Die Blätter sind auf meine Knie geglitten. Der Kleinbus pflügt und schlittert weiterhin die Sandstrasse entlang. Die Szenerie hat sich nur geringfügig verändert. Manche Orte scheinen fast unzerstört, andere wiederum sind Trümmerfelder, dem Erdboden nahezu gleich gemacht. Bilder, die durch das Auge scheinbar direkt ins Herz treffen. Und doch schleicht sich auf geheimnisvolle Art eine tröstliche Zuversicht ein - kann man doch sehen, wie stark und unverbraucht die Natur sich ihr Territorium zurück erobert hat. Dort, wo die Zerstörung am größten ist, bringt sie die üppigsten, alles überwuchernden Pflanzen hervor. Ein leuchtendes Mohnfeld hat einen dieser Ruinenplätze in Besitz genommen - und ich sehe es im Wind spielen und weiß wie das Ende des letzten Satzes der Unbekannten lauten sollte: ... Und die Farbe meines Widerstandes ist rot, rot wie die Liebe ...