Die Situation eines Juden in einer korrupten Gesellschaft ist Thema von Christopher Marlowes Tragödie "Der Jude von Malta", die in Peter Zadeks Regie am Freitag um 19 Uhr Burg-Premiere hat. Stephan Hilpold sprach mit der Neuübersetzerin Elfriede Jelinek. STANDARD: "Der Jude von Malta" gilt gemeinhin als ein antisemitisches Stück. Warum haben Sie es trotzdem übersetzt? Jelinek : Wenn man die Geschichte Deutschlands und Österreichs sozusagen auf seinem Rücken trägt, muss einen Antisemitismus interessieren. Man muss das Thema einkreisen, denn vor rassistischen Reflexen ist kein Mensch ganz sicher. STANDARD: Marlowe zeichnet Christen wie Juden mit düsteren Farben. Relativiert das den antisemitischen Gehalt? Jelinek : Der Jude von Malta ist eine Bestandsaufnahme menschlicher Niedrigkeit. Von einem sehr jungen Autor, der sich bereits keine Illusionen mehr über die Menschen macht. Die einzige positive Figur ist Abigail, die Tochter des Juden, und natürlich wird sie gemordet, die Unschuldigen zahlen immer als Erste drauf. STANDARD: Die Figur der "schönen Jüdin" ist doch auch ein antisemitisches Stereotyp. Jelinek : Natürlich. Interessant ist eher, dass diese schöne Jüdin, der dasselbe Stereotyp ja immer Sinnlichkeit - also Geilheit - zugeschrieben hat, die einzige Reine im Nonnenkloster ist, das ja als eine Art Bordell dargestellt wird. STANDARD: Eine marxistische Literaturkritik argumentiert, dass die Judenfiguren nur Vorwand seien, eine immer materialistischer werdende Gesellschaft zu verspotten. Jelinek : Die Modernität der Hauptfigur besteht darin, dass sie den menschlichen Begierden etwas Objektivierendes entgegensetzt: das Geld, das Materielle. Der Jude Barabas glaubt, dass es einen gerechten Tausch gibt. Das macht ihn zu einer "modernen" Figur, im Gegensatz zu den Kreuzrittern und Eroberern, den Herrschern Maltas, die nur rauben und plündern. STANDARD: Gert Voss meinte einmal, Barabas, der Jude von Malta, wäre ein "moderner Jude", da er nicht mehr dulden will. Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig" fügt sich ja den Demütigungen. Jelinek : Der Kaufmann von Venedig ist das viel differenziertere Stück. Wenn ich die Barabas-Figur "modern" nenne, so meine ich eine Modernität innerhalb dieses Stücks. Barabas ist Jude. Shylock ist ein Mensch, der ein Jude ist. STANDARD: Interessant ist, dass es in der Zeit Marlowes in England kaum Juden gab. Jelinek : Dass es gar keine Juden in England gegeben haben soll zu Marlowes Zeiten, das stimmt nicht ganz, in London lebten etwa tausend, allerdings getauft und völlig zwangsassimiliert. Wäre es für Marlowe nicht absurd gewesen, ein Stück über einen Juden zu schreiben, wenn seine Mitbürger nie einen zu sehen gekriegt hätten? STANDARD: Es muss doch nur das Bild funktionieren. Jelinek : Genau. Rassismus braucht die Anwesenheit des anderen nicht, um gegen ihn zu sein. Die Konstruktion eines verbrecherischen anderen ist eine Projektion. STANDARD: Vor dem Hintergrund der jetzigen Situation liegt es nahe, in Barabas einen Fundamentalisten zu sehen. Jelinek : Für die aktuelle Lage um Afghanistan scheint mir eher das gegenseitige Aufschaukeln des Konflikts interessant. Es kann keine der Parteien etwas unterlassen, sie müssen immer wieder aufeinander reagieren, und jedes Reagieren bedeutet Aggression. Im Juden von Malta wird als Erstes ja von den Christen das entscheidende Unrecht gesetzt. Alle seine Handlungen sind: tödliche Reaktion. STANDARD: Im "Juden von Malta" haben wir ein frühes Beispiel für etwas, das später "Arisierung von jüdischem Besitz" genannt wurde. Jelinek : Ja, die Rückgabe geraubten jüdischen Eigentums, die bis dato erst sehr rudimentär erfolgt ist, macht das Stück zusätzlich aktuell. Und all das Geschrei darüber, obwohl doch erst ein Bruchteil des Gestohlenen überhaupt restituiert wurde! Im Grunde spricht Barabas es ja sehr deutlich aus: Gebt mir zurück, was ihr gestohlen habt, sonst setzt ihr euch ins Unrecht! Jelineks analytische Marlowe- Übersetzung: Mit Sprachklarheit gegen das "Verjiddelte" (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 12. 2001)