Gerade im Unsicherheitszeitalter steigt der Wunsch nach Konstanten, nach langfristigen Bindungen, nach Geborgenheit und Familie und deren Vereinbarkeit mit Karriere.

Wien - Sozialminister Herbert Haupt tritt für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. In diesem Sinne präsentierte er Ende vergangener Woche bei einer Pressekonferenz das "Audit Familie & Beruf".

Das neue Verfahren, das auf Freiwilligkeit basiert, soll Unternehmen bei der Umsetzung nötiger Maßnahmen unterstützen. Bei interessierten Unternehmen wird betriebsintern ein Ist-Zustand ermittelt, die Defizite werden lokalisiert, um dann Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Entwicklungs- sowie Veränderungsstrategien zu bestimmen (Soll-Zustand).

Der Betrieb wird nach dreijähriger Umstellungsphase überprüft und erhält bei positiver Begutachtung das Zertifikat "Audit Familie & Beruf" für drei Jahre verliehen.

Europäisches Audit

Vorbild dieses Auditierungsverfahrens sind die Erkenntnisse der Beruf & Familie GmbH, einer Tochter der gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Frankfurt, die einen Kriterienkatalog von 140 Maßnahmen ausgearbeitet hat, die für den Arbeitgeber kostengünstig und für die Familien nicht mit unfreiwilligen Einkommenseinbußen verbunden sind.

Die Freiburger Holzwerkstatt etwa, eine ökologische und baubiologische Tischlerei mit sieben Beschäftigten, wurde vom Familienministerium für seine Väterfreundlichkeit preisgekrönt. Es stellt Väter für Familienaufgaben frei. Die Arbeitszeit teilen sich die Mitarbeiter in Absprache miteinander eigenverantwortlich ein. Und das Unternehmen zahlt - bei vollem Lohnausgleich - Kindergeld in Form erlassener Arbeitsstunden.

Zeit statt Sonderleistungen wie des Weihnachtsgeldes offeriert auch die Dortmunder Versicherungsfirma Continentale ihren 2250 Beschäftigten. Außerdem können sie zwischen 350 verschiedenen Arbeitszeitmodellen wählen.

"Es ist ja keine Schande, etwas Gutes aus dem Ausland zu übernehmen", meinte der Sozialminister und kritisierte, dass die Fantasie der Unternehmen derzeit bei Betriebskindergärten und Teilzeitarbeit ende.

Nicht nur, dass durch ein solches Audit die Betriebe eine Vorreiterrolle für familienfreundliche Maßnahmen einnehmen würden, bringe das Zertifikat auch eine attraktivere Positionierung im Wettbewerb um gute Mitar- beiter.

Das multifunktionale Instrument soll für alle Branchen und Betriebsgrößen, in Wirtschaftsunternehmen und auch im öffentlichen Dienst einsetzbar sein und auf lange Sicht in ganz Europa eingeführt werden. - In Ungarn läuft bereits ein entsprechendes Pilotprojekt, berichtet Erzsébet Zöldyné-Szita, Chancengleichheits-Beauftrage aus dem Sozialministerium in Budapest. In Österreich ist der Start für die Zertifizierungen 1998 erfolgt, mittlerweile haben 25 Firmen ihr Interesse bekundet und befinden sich bereits in der Umstrukturierungsphase.

Die Firma Inzersdorfer hat vergangenen Dienstag als erstes Unternehmen Österreichs dieses Zertifikat erhalten.

Familienfreundlichkeit ran- giert derzeit unter der Rubrik "good will"-Aktionen. Der in zehn Jahren eintretende demographische Knick könnte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aber zur unternehmerischen Überlebensfrage machen.

Wenn den Betrieben der qualifizierte Nachwuchs ausgeht, werden sie es sich kaum mehr leisten können, auf gut ausgebildete Frauen zu verzichten, die der Kinder wegen zu Hause bleiben. Laut Becker sei der Leidensdruck bei vielen Unternehmen noch nicht hoch genug. Manche seien aber auch nicht ausreichend über die Möglichkeiten informiert.

Das Sozialministerium hat nun als Servicedrehscheibe für das Audit die Plattform "TÜV Österreich Akademie" installiert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, APA/zug)
www.beruf-und-familie-de
www.tuev-akademie.at