Der Verfassungskonvent, den die Regierungschefs der Europäischen Union am Wochenende bei ihrem Gipfeltreffen im Brüsseler Schloss Laeken eingesetzt haben, hat bereits einen Abgeordneten. Es handelt sich um den österreichischen grünen Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber, der schon eine federführende Rolle bei der Erarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta hatte.

Nun wird er am vermutlich wichtigsten europäischen Projekt der vergangenen Jahrzehnte ebenfalls beteiligt sein. Denn die Einsetzung des Konvents ist der erste wirkliche Schritt zu einer Demokratisierung der EU mit ungeahnten Auswirkungen.

Evident ist, dass die EU, die sich früher als pure Wirtschaftsgemeinschaft verstand, den Weg zur echten politischen Union eingeschlagen hat. Darauf deutet auch der beim Rat gefasste indirekte Beschluss hin, die Einführung der Tobin-Tax zu prüfen - einer Art Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen, um destabilisierende Wirkungen von Spekulationen zu verkleinern, die der US-Ökonom und Nobelpreisträger James Tobin entwickelt hat. Was aber noch viel wichtiger ist: Der nun eingeleitete Prozess, der mit großer Sicherheit auch mit Rückschlägen verbunden sein wird, ist ähnlich unumkehrbar wie der seinerzeitige Grundsatzbeschluss über die Einführung des Euro, der in wenigen Tagen greifbare Wirklichkeit wird.

Und wie so oft in der Geschichte der europäischen Integration ist es im Grunde eine Schwäche gewesen, die letztendlich den innovativen Schub gebracht hat. Denn die Einsetzung des Verfassungskonvents ist das Eingeständnis der Ohnmacht des Europäischen Rats, also der Versammlung der Regierungschefs, die Zukunft der Union zu gestalten. Das ist kein Wunder, denn sie haben seit Jahren in einer Selbstherrlichkeit agiert, die zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen musste.

Wer je EU-Gipfeltreffen miterlebt hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hierbei um ein Treffen der Reichsfürsten handelt. Hinter verschlossenen Türen wurde und wird wie in einem Bazar um Partikularinteressen gekämpft. Zusammengehalten lediglich durch die Klammer des gemeinsamen Willens zum eigenen Machterhalt. Dass diese Politik der europäischen Reichsfürsten zu einer Entfremdung mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt hat sowie zu einer zunehmenden Ablehnung des EU-Projekts insgesamt führen musste, liegt auf der Hand.

Die Methode ist am Ende, und nur deshalb haben die EU-Regierungschefs überhaupt der Einsetzung des Konvents zugestimmt. Noch beim vorjährigen Gipfel in Nizza haben sie sich geweigert, die Macht zur Formulierung der Zukunft Europas aus den Händen zu geben, und selbst bei dem Konventsbeschluss in Laeken haben sie noch versucht, ihre Einflusssphären zu wahren, indem sie die Besetzung des Konvents so organisiert haben, dass ihr Einfluss größer als ursprünglich von der belgischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagen wurde. Außerdem wurde das Präsidium dem Konvent mehr oder minder aufs Auge gedrückt, statt dass man es ihm überlassen hätte, sein eigenes zu wählen.

Trotz dieses Schönheitsfehlers und der viel kritisierten Bestellung des nicht gerade jungen ehemaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing zum Konventspräsidenten ist der Beschluss von Laeken aber überaus positiv zu bewerten. Vor allem das Mandat des Konvents ist so abgefasst, dass er sich mit allen anstehenden Fragen völlig frei befassen kann. Hier haben die Regierungschefs weise Zurückhaltung geübt. Zu begrüßen ist außerdem, dass der Konvent öffentlich tagt. Europas Bürgerinnen und Bürger können jeden Schritt der verfassungsgebenden Versammlung mitverfolgen.

Der in Laeken eingesetzte Verfassungskonvent ist somit der Beginn für das Ende des geheimen Reichsfürstentums auf dem alten Kontinent. Es war höchste Zeit dafür.

(DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2001)