von Michael Cerha
Zum 80. Geburtstag Stefan Heyms zog Sabine Brandt in der F.A.Z. einen drastischen Vergleich. Heym habe 37 Jahre DDR duchgemacht, verhalte sich zum Sozialismus aber immer noch "wie eine Ehefrau, deren Gemahl prügelt, fremdgeht, das Geld versäuft, und die dennoch unbeirrbar hofft: Wenn er nur seine Unarten ablegt, wie schön wird das Leben mit ihm sein". Etwas, das wie blinde Liebe erscheinen konnte, gab es da wirklich. Schon 1953 schüttelten manche den Kopf über Stefan Heym.

Da tauschte der Schriftsteller seine amerikanische Staatsbürgerschaft samt Offiziersrang gegen ein Asyl in der DDR. Die war arm, dem Diktat der SED unterworfen und schon damals vom Auswanderungswunsch wachsender Bevölkerungsteile gezeichnet. Noch krasser wirkte Heyms Starrsinn nur am 4. November 1989: Bei einer Rede im Rahmen der Wende-Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz glaubte er ernsthaft noch immer an "eine künftige, bessere, endlich richtige DDR".

Vermeintliche Blindheit

Stefan Heyms vermeintliche Blindheit, von manchen auch etwas schmeichelhafter als Blauäugigkeit bezeichnet - sie ist bei genauerer Beurteilung freilich nichts anderes als das Resultat der konsequenten Anwendung einer politischen Grundthese.

Sie besagt, dass die Überwindung des Faschismus nur im Sozialismus möglich ist. Wenn das Denken in einem derartigen Rot-Braun-Schema auch der heutigen politischen Realität nicht mehr angemessen erscheint, man muss Stefan Heym zugute halten, dass seine Lebenserfahrung es ihn gelehrt hat. Wie übrigens, von Manès Sperber bis Heinrich Böll, in variierender Ausprägung auch andere bedeutende Autoren.

Ganz heraußen ist schließlich auch noch nicht, wie einmal zu beurteilen sein wird, was Stefan Heym bis zuletzt in Aussagen wie dieser beschwor: "Wenn man ihnen" - er meinte die Menschen im Osten - "nicht eine demokratische Lösung anbieten kann, eine linke Lösung, dann werden sie nach rechts gehen, werden wieder dem Faschismus folgen."

Und jedenfalls hat die Kehrseite der Unbeirrbarkeit, mit der Heym seinen Idealsozialismus vertreten hat, der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts epische Beachtlichkeiten wie den Roman Collin (1979), Der König David Bericht oder Schwarzenberg beschert, und der DDR den seinerzeit meistgefürchteten Kritiker.

Denn dass der Infarkt des Parteifunktionärs Collin als Signal einer Gefäßverengung im Geäder der DDR zu lesen war, dass die von König Salomo verfügte "Umlügung" der Geschichte parabelhaft auf den Stalinismus gemünzt war, durchschaute nicht nur Schriftstellerverbandspräsident Hermann Kant. Dem wäre mit der Rückkehr zu den Maximen des Sozialismus zu antworten gewesen. Dem wurde aber selbstverständlich mit einem Veröffentlichungsverbot für Stefan Heym geantwortet.

"Geistig präsent, vorlaut wie immer"

Unfreiwillig, aber engagiert befasst mit allen politischen Irrungen und Wirrungen des vorigen Jahrhunderts ( Nachruf , 1998) ist uns Heym zuletzt so im Gedächtnis, wie sein Kollege Erich Loest es ausdrückt: "klein und krumm, aber geistig präsent und vorlaut wie immer". Als Abgeordneter der SED, die ihn verfolgt hatte, hielt er im Parlament der Bundesrepublik, der er politisch misstraute, 1994 die Antrittsrede, der erste deutsche Schriftsteller und der erste Jude, dem das Amt des Alterspräsidenten zufiel. Ein Heinrich-Heine-Symposium hat den 88-Jährigen vorige Woche zur Reise nach Israel veranlasst. Am Sonntag erlag er dort einem Herzanfall. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.12. 2001)