Vor Jörg Haider zu warnen, ist eine undankbare Aufgabe. Auch unter den Eliten, auch im Journalismus, finden sich eine Menge Leute mit oberflächlicher historischer und politischer Bildung, die zu einer historischen und phänomenologischen Einordnung nicht in der Lage sind. Andere wieder nehmen Haider nur als lustiges Medienphänomen wahr. Eine jüngere Generation hat sich daran gewöhnt, mit ihm und seinen Dauerprovokationen zu leben.

Was diese Koalition der Ahnungslosen nicht begreift, ist die Machtfrage. Hier geht es nicht um Medientheorie oder ganz normale, flache "Innenpolitik", sondern um Eroberung und Zerstörung von demokratischen Freiräumen und Institutionen. Jörg Haider mag sprunghaft sein, aber seine innere autoritäre Prägung und Orientierung bleiben stabil über die Jahrzehnte hinweg. Er mag nicht mehr Kanzler werden können, aber er und seine Handlanger sind sehr erfolgreich dabei, ihre Vorstellungen von einem autoritären System umzusetzen.

Haiders "Dritte Republik" findet soeben statt.

Sie wird umgesetzt unter der Nase oberflächlicher Journalisten, mitläuferischer Karrieristen, einer schnarchenden Opposition und eines allgemeinen Publikums, dem Fragen des Rechtsstaats kein Anliegen sind.

Das Ziel ist klar: Personen und Institutionen der demokratischen Kontrolle auszuhebeln. Die Methode ist immer dieselbe: attackieren, skandalisieren, und politisch oder auch im Wortsinn kriminalisieren. Dann werden Personen beseitigt, Institutionen erobert oder "gleichgeschaltet". Das jüngste Opfer ist der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, eines klassischen liberal-konservativen Höchstrichters, aber es geht auch um die Sozialversicherungen, den ORF und die Justiz insgesamt.

Den Verfassungsgerichtshof zu zertrümmern heißt eine Säule der Demokratie zertrümmern. "Wenn Politiker Richter des Amtes entheben wollen, wenn sie Urteile ignorieren wollen, dann sind das Verhaltensweisen einer Diktatur, nicht einer Demokratie" schreibt der Chefredakteur der Presse, der nun anscheinend erkennt, wessen Regierungsbeteiligung er da für wünschenswert gehalten hat.

Die Justiz ist ein Schlüsselbereich. Hier hat die "Dritte Republik" eine Einfallspforte. Haider hat bereits Strafverfolgung für "landesverräterische" Oppositionelle gefordert und sein Leibanwalt, den er als Justizminister einsetzte, hat das für "verfolgenswert" gehalten. Unter diesem Justizminister Böhmdorfer wurde der Polizeispitzelskandal, also der schwere Verdacht einer FPÖ-Polizei in der Polizei unter Beteiligung von Haider selbst, wegadministriert. In dem dadurch geschaffenen Justizklima kommen Gerichtsurteile zweiter Instanz zustande, wonach die Hetze einer (von der Regierung subventionierten) Rechtsaußen-Zeitung, ein Journalist habe einen Rechtsextremen in den Tod getrieben, auf einem "Tatsachensubstrat" (!) beruhe.

Und das alles bleiben nicht die Delirien eines Kärntner Provinzfürsten. Kaum gibt er eine Ungeheuerlichkeit von sich, springen eilfertig seine willigen Helfer, die Vizekanzlerin der Republik und der Klubobmann der FPÖ herbei und setzen um. Die ÖVP unter Schüssel schweigt, beruhigt unter den Hand, bedient sich schlau bei den Pöstchen und verspielt demokratische Bastionen.

Man muss gar nicht Parallelen zur NS-Machtergreifung herstellen. Es genügt, Namen wie Meciar, Tudjman und wohl auch Berlusconi zu nennen, um die Dimension zu erkennen: eine dreiste Aushöhlung der Demokratie. Sie wird letztlich nicht gelingen - aber das wird nicht das Verdienst der Koalition der Ahnungslosen sein.


(DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2001)