London - Osteoporose, die Ausdünnung der Knochen im Alter, wird für gewöhnlich mit Kalziummangel erklärt, dem kalziumreiche Nahrung entgegenwirken soll, Hartkäse etwa. Aber ausgerechnet er steht bei einer kleinen Gruppe von ErnährungswissenschafterInnen im Verdacht, selbst das Leiden durch Übersäuerung des Körpers zu fördern.Dass zu viel Säure Knochen ausdünnen kann, bemerkte man in den 20er-Jahren an nierenkranken Kindern. Therapierte man eine Nebenfolge des Nierenleidens - Magenbluten durch Übersäuerung - mit neutralisierendem Bikarbonat, erholten sich auch die Knochen. In den 60er-Jahren wurde der Mechanismus beschrieben: Der Niere filtert überschüssige Säure aus dem Blut in den Urin ab. Reicht das nicht, greift der Körper ein Reservoir mit neutralisierenden Elementen an und setzt aus den Knochen etwa Kalzium frei, das ihm dann als Stützmaterial fehlt. Diese Notlage verschärft sich mit der modernen westlichen Ernährungsweise: Hartkäse, Fleisch und Getreideprodukte wie Brot oder Pasta bringen Säuren, die dann nicht neutralisiert werden, wenn zugleich wenig Obst und Gemüse verzehrt wird. Das könnte erklären, warum im Westen Osteoporose stark auf dem Vormarsch ist, in den letzten 50 Jahren haben sich die Hüftfrakturen dort (alterskorrigiert) verdoppelt. In Deutschland sind sie 40-mal so häufig wie in Thailand, wo der säurebringende Reis mit viel Gemüse neutralisiert und kaum Hartkäse verzehrt wird. Zwar zweifeln die AußenseiterInnen nicht an den anderen Risikofaktoren - zu wenig Kalzium, zu wenig Bewegung, Menopause -, aber in der bisher größten Osteoporosestudie können diese Faktoren nur die Hälfte der Hüftfrakturen erklären. Ob der Rest wirklich von Übersäuerung kommt, ist umstritten und bräuchte zur Klärung eine neue Studie. Und auch die VertreterInnen der Säurehypothese empfehlen nicht Verzicht, sondern eine balancierte Ernährung mit viel Obst und Gemüse. (New Scientist, Nr. 2321, jl) - DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 28.12.2001