Neben der Gleichschaltung auf Regierungslinie droht dem "ORF neu" noch eine andere, kaum weniger ernste, Gefahr: das Versinken in einem tiefen Sumpf des Provinzialismus, noch tiefer als der, in dem er jetzt schon steckt. Die Vorzeichen geben jedenfalls Grund zur Besorgnis: Das neue Gesetz bringt eine weitere Stärkung der Landesstudios, und die neue Generaldirektorin hat als wichtigstes Prinzip angekündigt, das Programm solle künftig unverwechselbar österreichisch sein. Jeder, der einschaltet, sollte wissen, dass er "zu Hause" ist. Unter den gegebenen Umständen könnte das eine gefährliche Drohung sein. Unverwechselbar österreichisch heißt nämlich schon seit geraumer Zeit: unverwechselbar provinziell. Das müsste durchaus nicht sein - man könnte sich aufgrund unserer Tradition auch etwas ganz anderes unter typisch österreichisch vorstellen -, aber es ist so. Berge, Perchten, Skifahrer und ein bisschen Lipizzaner

Die Bilderfolge beim heurigen Neujahrskonzert war dafür ein gutes Beispiel. Man sah vor allem Berge, Perchten und Skifahrer und zum Drüberstreuen ein bisschen Lipizzaner und ein bisschen Canaletto-Ansichten. Wie die meisten Österreicher die Welt um sie herum wahrnehmen, wird zu einem großen Teil vom Fernsehen und von der "Krone" bestimmt. Und in dieser Wahrnehmung sieht die Welt ungefähr so aus wie ein Teller Sauerkraut mit einem Würstel mittendrin. Das Würstel ist Österreich, umgeben von einer unbestimmten Masse namens Ausland.

Eigene Politiker werden zu Giganten

Das Resultat ist eine verzerrte Optik: Die eigenen Politiker werden aus diesem Blickwinkel zu Giganten, auf deren Wort alles ankommt. Die anderen sind Statisten. Chirac ist der mit den Sanktionen, Putin ist der, der seinerzeit in St. Anton so nett zu uns war, Schröder besuchte seinerzeit in Wien zuerst André Heller und dann erst Schüssel. Wer noch nie in Österreich war, hat Pech, er kommt in unserem inneren Album so gut wie überhaupt nicht vor. Das ganze Riesenprojekt Europäische Union und deren Erweiterung dreht sich einzig und allein um das Thema Temelín. Und Sportereignisse, bei denen Österreicher keine Gewinnchancen haben, sind uninteressant.

Und wo ist der Österreichbezug?

Die Journalisten können nichts dafür. Sie sind Opfer der herrschenden Weltsicht. Jeder Auslandskorrespondent, der einen Beitrag anbietet, fürchtet die unvermeidliche Frage der Zentrale: Und wo ist der Österreichbezug? Oft wird dieser Bezug an den Haaren herbeigezogen, manchmal ist er schlicht nicht vorhanden, und der Beitrag stirbt, obwohl in Wahrheit alles, was auf der Welt interessant ist, auch die Österreicher angeht.

Das Urbane, Zeitgenössische, Weltläufige und Internationale kommt zu kurz

Aber auch die Wahrnehmung des eigenen Landes leidet unter der österreichischen Erbsünde Provinzialismus. Es ist alles so furchtbar gebirgig, lederhosig, bieder und - wenn es um Wien geht - fiaker- und lipizzanerlastig. Das Urbane, Zeitgenössische, Weltläufige und Internationale, das es in Österreich durchaus auch gibt, kommt zu kurz. Da sind sogar die Deutschen weiter. Einen Mehrteiler wie den über die Manns (Emigranten) oder eine Serie wie "Der Alte" (mit einem schwarzen Polizisten) hat der ORF noch nicht ausgestrahlt. Und jetzt kommt ein neues Regime, das der Papierform nach eine Öffnung zu Europa und zur Welt noch weniger erwarten lässt.

Aber manchmal geschehen Wunder ...

Aber man soll nicht vorschnell resignieren. Vielleicht straft die neue Generaldirektorin aus St. Pölten alle Pessimisten Lügen. Vielleicht wird es jetzt endlich ein Auslandsmagazin geben, das diesen Namen verdient, eine spannende Diskussionssendung, in der nicht nur Parteisekretäre das große Wort führen, geistreiche Unterhaltungsabende. Es wäre ein Wunder. Aber manchmal geschehen Wunder. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 7. Jänner 2001)

PS der Redaktion: Die Manns und "Der Alte" liefen selbstverständlich im ORF.