In Philadelphia setzt man auf kulturelle Belebung: Im "Kimmel Center" wurde nun ein spektakulärer Konzertsaal eröffnet, welcher dem Philadelphia Orchestra endlich gute akustische Spielbedingungen bietet.
von STANDARD-Mitarbeiter Derek Weber
Foto: Vinoly
Die neue Verizon Hall in Philadelphia: In unkonventioneller CelloForm gehalten, kann sie mit mobilen Elementen ideal auf musikalische Anforderungen "reagieren"
Philadelphia - Den spendierfreudigen Alberto Vilar kennt jeder. Aber wer ist Sidney Kimmel? Einer, der es, dem amerikanischen Traum gemäß, vom Tellerwäscher (hier: vom Kegeljungen) zum Millionär, konkret: zum Textilindustriellen, Schuhfabrikanten, Filmproduzenten und Restaurantmitbesitzer gebracht hat. Der in Philadelphia aufgewachsene Kimmel hat sich jetzt ebendort ein kulturelles Denkmal gesetzt:

Für das "Sid", wie die Einheimischen die eigenwillige Glasraupe nennen, hat die Kimmel-Stiftung 27 Millionen Euro lockergemacht. Das "Kimmel Center for the Performing Arts" soll das als verschlafen in Verruf geratene Philadelphia kulturell aufwerten - die Politiker wollten der Stadt, die man im 19. Jahrhundert das amerikanische Athen nannte, einen Impuls verleihen. Und: Das Philadelphia Orchestra war seit "längerem" auf der Suche nach einer Alternative zu seinem als akustisch unzureichend empfundenen Konzertsaal in der einst, 1857, eröffneten Academy of Music.

1908 wurde zum ersten Mal der Plan ventiliert, ein eigenes Konzerthaus für das Orchester zu bauen - erst unter Riccardo Muti allerdings trat die Diskussion um einen Neubau Mitte der 80er-Jahre in ein konkretes Stadium. Das Orchester kaufte ein Grundstück (jenes, auf dem das Kimmel Center errichtet wurde) und beauftragte ein Architektenteam mit dem Entwurf des Konzertgebäudes.

Nun hat das Philadelphia Orchestra seinen lang ersehnten neuen Konzertsaal. Die Verizon Hall bildet einen Teil des Kimmel Centers, das neben dem Konzertgebäude auch einen kleineren Musik-und Theatersaal, das Perelmann Theater, beherbergt. Und zwar nicht bloß in trauter Nachbarschaft, sondern vereint unter einem Glasdach:

Über den beiden freistehenden Gebäuden wölbt sich eine das Stadtbild von der peripheren Seite her markant prägende Konstruktion, die an eine gläserne Version des Kölner Hauptbahnhofes erinnert. 239 Millionen Euro wird der noch nicht ganz fertige Bau kosten. 60 Prozent der Finanzierung erfolgen durch 93 Firmen, 41 Stiftungen und über 1600 Einzelspender.

Neue Form

Entworfen hat den "Sid"-Komplex mit seinem riesigen Foyer und einem Dachgartenrestaurant der New Yorker Architekt Rafael Viñoly. Für die Akustik der beiden Säle zeichnet Spezialist Russel Johnson verantwortlich. Spektakulär ist vor allem die Verizon Hall: Der 2500 Personen fassende Raum hat die Form eines Cellos. Die Idee stammt von Viñoly. "Wir hatten von einer klassischen Schuhschachtel-Form gesprochen, wie sie die alten Konzertsäle haben", erzählt Johnson

Doch eines Tages "stellte mir Viñoly ein Cello vor die Nase und sagte: ,So wird der Saal aussehen!' Es hat mich Wochen gekostet, die akustische Lösung dafür zu finden." Das Geheimnis des mit dunklem Makore-Holz ausgekleideten Saals liegt in den hinter den Wänden verborgenen Dutzenden kleinen mobilen Räumen verborgen, mit denen die Nachhallzeit ebenso reguliert werden kann wie mit der flexiblen Baldachinkonstruktion über dem Podium.

Was die Halle kann, war für diejenigen, die sich das 5000-Dollar-Ticket für eine der beiden Eröffnungsgalas leisten konnten, zu hören. Für den ersten Tag engagierte Kimmel seinen Freund Paul Anka und Elton John. (Letzterer kassierte für seinen Ein-Stunden-Auftritt zwei Millionen Dollar!). Der zweite Tag gehörte ganz dem Philadelphia Orchestra unter Wolfgang Sawallisch: Die Verizon Hall zeichnet sich durch eine ungemein präsente Akustik aus, welche die Solostimmen klar wie in einem Kammersaal hervortreten lässt.

Im orchestralen Zusammenklang dominieren die Holzbläser. Die Streicher wirken da etwas blass. "Das aber", sagt Johnson, "ist weder ein Defekt der Halle noch einer des Orchesters. Der Klang entsteht durch Anpassung des Orchesters und durch Adjustierung der mobilen Akustikteile. Demnächst werden wir zusammen mit dem Orchester sechs akustische Grundeinstellungen entwickeln." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 08.01. 2002)