"And unlike you, I expect nothing. I expect no more from institutions than I expect from people." (Der Diplomat Bradfield zum Agenten Turner in John le Carrés Thriller "A Small Town in Germany") Das neue ORF-Gesetz brachte uns einen Stiftungsrat und eine neue Führung. Werden die "Aufsichtsräte" die Programmanomalien beseitigen? Länger als eineinhalb Jahrzehnte hatten wir das Rundfunkgesetz vom August 1984. Sein Art. 1 § 2 Abs. 1 umschrieb die Aufgabenstellung des ORF mit den Forderungen nach "umfassender Information . . . durch objektive Auswahl und Vermittlung von Nachrichten und Reportagen, Kommentaren unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt vertretener Meinungen" und der "Wahrung des Grundsatzes der Objektivität, Vermittlung und Förderung von Kunst und Wissenschaft, Darbietung von einwandfreier Unterhaltung". Diese Forderungen hätten natürlich im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Präambel uns auf das gemeinsame Kulturerbe und "an effective political democracy" verpflichtet, erfüllt werden müssen, wobei man auch die Helsinki-Deklaration nicht hätte ignorieren dürfen. Aber all das wurde in diesen vielen Jahren mit Füßen getreten, verhöhnt: Was antwortete Harry Mulisch bei der Frankfurter Buchmesse einer ORF-Journalistin auf ihre Frage nach seiner Beziehung zur deutschen Literatur?: "Goethe, Schopenhauer, Musil." Über wen sprachen García Márquez und Bill Clinton in ihrer Literaturnacht? Über Cervantes, Twain, Faulkner, Hemingway. Ö1 hingegen stellte diese und ähnliche Wertungen auf den Kopf und tanzte sogar um Herzmanovsky-Orlando, Artmann und Jandl. Dann die Ablehnung des großen europäischen Films: Von den täglichen Hollywood-Orgien in ORF 1 bis zu den grotesken Umdrehungen in ORF 2. Die für jedermann in unseren Bibliotheken nachlesbaren Programme beweisen diese Gewichtung. Französische, italienische, englische, skandinavische Frauen, Männer, Kinder, ihre Lieben, Leidenschaften und Kämpfe, ihr Leben in ihren Landschaften, Dörfern, Städten zu zeigen, wäre das eurofaschistisches Bemühen oder die immer öfter verlangte Suche nach unserer Identität? Hölzchen Die abspielbaren Bänder lassen hören (und sehen), Korrespondenzen dokumentieren, wie es die dortigen Kultur- und Politikredakteure trieben: wer immer wieder zu "Diskussionen", Interviews, "Beurteilungen" eingeladen und wer ignoriert wurde, wie man Hölzchen warf. Dann Zoglauers am Beginn von Salzburger Festspielen Hofmannsthal gegenüber begangene Gemeinheiten - ungeachtet der dafür von den Stars Marthe Keller, Brandauer, Voss erhaltenen "Ohrfeigen" und die nicht in Spanisch, Italienisch, Französisch, sondern in Englisch geführten Interviews mit Domingo, Pavarotti, Greco, Aznavour als weitere Demaskierungsbeispiele. Oder die unfassbaren Verdrehungen, Verfälschungen, Auslassungen, Unterdrückungen in anderen Bereichen - bis zu (von einem nicht unbekannten Regisseur glaubhaft behaupteten) Einkäufen in die Sendung "Seitenblicke". Das Rundfunkgesetz vom August 1984 schuf vier Organe mit beträchtlichen Kontrollfunktionen. So waren die Mitglieder des Kuratoriums sowie die Hörer- und Sehervertretung zum Beispiel "befugt, den Generalintendanten, die Direktoren, die Inten- danten und die Landesintendanten über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben des Österreichischen Rundfunks zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen". Was aber taten sie zur Beseitigung der oben nur angetippten skandalösen Missstände? Was tat Leopold März, ordentlicher Professor und Rektor einer Wiener Universität, in seinen seit 1993 ausgeübten Funktionen als Mitglied, später Vorsitzender, der Hörer-und Sehervertretung und danach als Mitglied, zuletzt sogar Vorsitzender, des Kuratoriums? Der Autor weiß nicht, was Leopold März in den Sitzungen der Hörer- und Sehervertretung sowie des Kuratoriums des ORF gemacht hat. Aber er las im STANDARD (17. 3. 2000), Herr Professor März hätte auf Wunsch der kritisierten Redakteure das Kuratorium darum gebeten, "mit dem ORF verantwortungsvoll umzugehen und nichts zu tun, was die Bonität des Unternehmens gefährden könnte". Und nun soll alles besser werden? Mit dem Stiftungsrat? Dessen stellvertretender Vorsitzender ist Leopold März. Wir brauchen keine institutionalisierten Jahrmärkte der Eitelkeit. Vielfalt Wir brauchen auf Meinungsvielfalt bedachte Medien, verantwortungsbewusste Publizistikwissenschafter, Politologen, Soziologen, Philosophen . . ., also Chomskys, Debrays, Bourdieus, Zieglers . . ., lebendige Studenten statt intellektuell korrupter ÖH-Funktionäre, also Universitäten, die - ihren öffentlich-rechtlichen Status nützend - die Intendanten, Abteilungsleiter und Journalisten des dem Volk gehörenden, weil ebenfalls öffentlich-rechtlichen ORF, regelmäßig zu Befragungen rufen . . ., also eine lebende Demokratie. Günther Fink lebt als Generalist in Wien. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 12./13. Jänner 2002