"Die politischen Dossiers sind exakt wie die Mafiadossiers: Niemand öffnet den Mund. Das hat mich am meisten schockiert: Die Politiker schweigen wie die großen Gauner. Sie verhalten sich genau wie Bankräuber oder Drogenhändler." Solche Worte stammen von einem, der es wissen muss: Eric Halphen, dem wohl hartnäckigsten und prominentesten Untersuchungsrichter der französischen Republik.

Am Montag hat er den Bettel hingeworfen, weil seine Arbeit, wie er in einem Zeitungsinterview sagte, nichts nützt, nichts ändert, nichts bewirkt. "In meinen Augen", findet Halphen, "gelten die Gesetze für jedermann - für den Reichen oder den Armen, den Arbeitslosen oder den Präsidenten." Der "Präsident", das ist natürlich Jacques Chirac. Dessen bekannte und weit verzweigte Pariser Rathaus-und Schmiergeldaffären wurden durch die höchsten Gerichte des Landes im vergangenen Jahr mit einem umstrittenen formaljuristischen Entscheid beerdigt.

Dabei hatte der 42-jährige Richter in geduldiger Kleinarbeit ermittelt, hielt massivem Druck stand, wurde beschattet, abgehört, persönlich angegriffen (seine Ehe ist in die Brüche gegangen) - doch er hielt jahrelang durch, schickte Chirac sogar eine Vorladung - bis der Verfassungshof den Richter desavouierte. Verbittert hängt Halphen nun seinen Job an den Nagel. Der nebenberufliche Krimischriftsteller will nun erstmals ein Buch über seine eigenen Erfahrungen als Richter schreiben.

Halphens Schicksal steht für die gesamte Justiz, die bis heute am Gängelband der Politik und obskurer Machtinteressen hängt. Unabhängige Justiz bleibt für viele Politiker ein Fremdwort, obwohl die meisten Regierungschefs der 90-er Jahre bei Amtsantritt gelobten, die Nabelschnur zwischen Justizminister und Staatsanwaltschaft zu kappen.

Reform gestoppt

Der sozialistische Premierminister Lionel Jospin versprach 1997, nicht mehr in laufende Ermittlungen einzugreifen. Er hielt sich bisher daran. Chirac jedoch versprach nichts dergleichen und versteckt sich hinter seiner präsidialen Immunität. Vor ziemlich genau einem Jahr stoppte er im letzten Moment eine groß angelegte Justizreform, die die richterliche Unabhängigkeit hätte garantieren sollen. Zuvor hatten Halphens Ermittlungen gerade erste konkrete Resultate gezeitigt. (DER STANDARD, Print vom 17.1.2002)