So seziert man ein Buch: "Memoiren eines gerechtfertigten Sünders" als Ausgangspunkt für eine Installation des schottischen Künstlers Douglas Gordon im Kunsthaus Bregenz.
von STANDARD-Mitarbeiter Michael Heinzel
Bregenz - Es ist Pressekonferenz, doch der Künstler lässt sich entschuldigen. Douglas Gordon liegt in seinem Hotelzimmer und kann sich nicht bewegen. Die Bandscheiben. "Was soll ich den Leuten nun sagen?", fragt ihn der Direktor des Kunsthauses Bregenz (KUB), Eckhard Schneider. Gordon: "Sag ihnen, das ist der Preis, wenn man sich mit dem Teufel einlässt."

Douglas Gordon hat sich also mit dem Teufel eingelassen, ihn auf drei Ebenen seziert. Der Teufel kommt daher in Gestalt des Robert Wringhim, der Hauptfigur aus dem Roman Die privaten Memoiren und Bekenntnisse eines gerechtfertigten Sünders von James Hogg (1770-1835). Dieser Wringhim ist ein religiös motivierter Serienmörder. Der Roman bildet das Drehbuch zu Gordons Installationen. Und deren drei Ebenen sind die drei Etagen des KUB.

Lesen. Hören. Sehen.

Jede Etage widerspiegelt eine andere Wahrnehmungsperspektive des Geschehens. Der erste Stock ist abgedunkelt. In der Mitte des Raumes lärmt eine alte Offset-Druckerei. Es riecht nach Lösungsmitteln. Die Maschine wird im Turnus von zehn Druckerlehrlingen bedient. Sie vervielfältigen den Roman gleich doppelt: das englischsprachige Typoskript und auf den gegenüberliegenden Seiten, wie eine Übersetzung, die Handschrift des Künstlers. Am Ende der Ausstellung wird das Buch fertig gedruckt sein und mit zwei weiteren Bänden ergänzt in einem Schuber herausgegeben. Das bibliophile Endprodukt wird 220 Euro kosten und beinhalten: die Originalversion, die Handschrift, die deutsche Übersetzung, diverse Vorworte aus 100 Jahren Editionsgeschichte und, als Hörstück, das Produkt der zweiten Etage:

Sie ist in Finsternis getaucht und in Form eines Pentagramms, des Drudenfußes, abgeteilt. Hier liest in Endlosschleife die Stimme des Schriftstellers Michael Köhlmeier den vollständigen Hogg-Roman vor. Ein Durchlauf dauert sieben Stunden. Der Dichter musste sich dafür vier Tage lang ins Studio setzen. Dass Köhlmeier leicht hörbar ein Vorarlberger ist, freut den Kunsthausdirektor, weil ihm das Lokalkolorit wichtig ist. Am Rande der Veranstaltung entspann sich auch scherzhafter Wortwechsel, wie schottisch das Ländle sei. Gemeinsamkeiten: Geiz, Nebel, mürrische Hochlandbewohner . . .

Unterm Dach sehen wir das Resultat der Sektion mit filmischen Mitteln. Im Zentrum: eine raumfüllende durchscheinende Leinwand, die von beiden Seiten mit den jeweils gleichen Bildern bespielt wird, allerdings zeitversetzt.

Die Bilder fließen ineinander über, verdoppeln sich, selten verschmelzen sie. Sie zeigen das Porträt eines Mittdreißigers, sie symbolisieren den Mörder und das Opfer, seinen Bruder. Mr. Jekyll und Dr. Hyde. Kain und Abel. KUB-Direktor Eckhard Schneider zieht, stellvertretend für den abwesenden Künstler, in seiner Interpretation Parallelen zum religiösen Fanatismus unserer Tage.

Wer sich nun mit dem Lift in die dritte Etage hochbeamen ließe, sähe nichts als ein Gesicht, das aus verschiedenen Perspektiven abgefilmt wurde. Nein, man muss die Ausstellung in ihrem Kontext sehen und methodisch vorgehen: 1. Programmheft lesen, 2. sich die Etagen hocharbeiten und 3. dann ins KUB-Café auf ein Bier gehen, schon wegen der Schlechtigkeit der Welt. Am liebsten mit einem potenziell trinkfesten Schotten. Aber der liegt ja im Bett und kann sich nicht rühren.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.01. 2002)