Netzpolitik
Schengener Datensystem soll ausgebaut werden
Pläne des EU-Ministerrats rufen Datenschützer auf den Plan
An einem unscheinbaren Neubau hinter einem
Stacheldraht-Zaun verkündet ein Schild "Centre interdepartemental de
Strasbourg". Nichts weist darauf hin, dass sich hier, in einem
Straßburger Vorort, der größte Polizeicomputer Europas befindet.
"Über 10,5 Millionen Daten sind bei uns gespeichert", erläutert
Bernard Kirch, Leiter des "Schengener Informationssystems" (SIS), in
das Besucher nur nach Genehmigung des Pariser Innenministeriums und
umfangreichen Kontrollen gelangen. Rund 15 Prozent der Daten
betreffen Personen, vor allem Asylbewerber oder illegal eingereiste
Ausländer, gesuchte Straftäter und Vermisste.Auf Datenjagd
Wenn es nach dem Willen der EU geht, sollen bald noch viel mehr
Daten dazukommen. Am 6. Dezember beschloss der Ministerrat, den 1990
installierten Zentralcomputer durch einen neuen zu ersetzen. Das
bisherige System, so die Begründung, stoße bald an seine Grenzen.
Heute gehören dem Schengen-Raum 13 EU-Staaten sowie Norwegen und
Finnland an. Auch Großbritannien und Irland wollen beitreten. In
einigen Jahren steht die Ost-Erweiterung der EU an. Für so viele
Staaten sei das SIS aber nicht nicht konzipiert. Daher müsse nun SIS
II entwickelt werden, ein neuer Computer mit "neuen
Leistungsmerkmalen".
Neue Felder
Was damit gemeint ist, erläutert Kirch: Problematisch sei nicht
die geplante EU-Erweiterung und die damit wachsende Zahl der Daten.
Es gebe jedoch Überlegungen, die "Funktionen" des SIS zu erweitern -
etwa durch die Eingabe von Fotos, Fingerabdrücken und genetischen
Fingerabdrücken. Auch sollten die Daten miteinander verknüpft werden
- durch eine Verbindung zwischen Personendaten und Angaben zu
gestohlenen Autos, Ausweisen oder Waffen.
Krude Vorschläge
"Da gibt es die krudesten Vorschläge", meint Angelika
Schriever-Steinberg, Mitarbeiterin des hessischen
Datenschutzbeauftragten und Mitglied der "Gemeinsamen
Kontrollstelle". Sie hat zu überwachen, ob beim SIS die
Datenschutzvorschriften eingehalten werden. Es werde sogar überlegt,
auch privaten Einrichtungen - etwa Kreditüberwachungsstellen wie der
Schufa - Zugriff zum Schengen-Computer zu gewähren, berichtet
Schriever-Steinberg. Noch seien dies "Gedankenspiele", über die
Brüssel die Mitglieder der Kontrollstelle zudem nicht ausreichend
informiere. Die große Gefahr sei aber, dass über den Kopf von
Datenschützern hinweg Tatsachen geschaffen werden. "Wenn es erst Mal
neue technische Möglichkeiten gibt, werden die auch genutzt".
Warnungen
So sieht das auch Thilo Weichert, Leiter der deutschen Vereinigung
für Datenschutz. Er verweist auf die unterschiedlichen
Datenschutzbestimmungen in den EU-Staaten. Die Briten etwa hätten
einen "sehr offenherzigen" Umgang mit genetischen Fingerabdrücken.
Wenn es erstmal eine gemeinsame Datei für solche Abdrücke gebe,
würden die relativ hohen deutschen Standards zwangsläufig verwässert.
Problematische Praxis
Die geplante Aufrüstung des SIS macht Datenschützer umso
misstrauischer, als schon die gegenwärtige Praxis in ihren Augen
nicht unproblemtisch ist. So erlaubt Paragraph 99 des "Schengener
Durchführungsübereinkommens" das Speichern von Personen-Daten im
Rahmen einer so genannten verdeckten Registrierung. Diese kann
beispielsweise zur "Abwehr von Gefahren für die öffentliche
Sicherheit" angeordnet werden. Auch Daten von "Begleitpersonen"
können auf diese Weise im Straßburger Computer landen.
BKA ist zufrieden
Rundum zufrieden mit dem SIS ist dagegen Karl-Heinz Dufner vom
deutschen Bundeskriminalamt (BKA). Ziel sei es gewesen, die Abschaffung der
Grenzkontrollen im Schengen-Raum zu kompensieren. Dies sei voll
gelungen, sagt Dufner, der beim BKA für die deutsche SIS-Stelle
zuständig ist. "Schengen ist eine Erfolgsgeschichte". Auf
Fahndungserfolge verweist auch das Innenministerium. 2001 seien in
Deutschland aufgrund von SIS-Daten aus anderen Schengenländern 2300
Fahdungstreffer erzielt worden. Der Bundesgrenzschutz habe dank
SIS-Angaben 12.050 Ausländer an den Grenzen abgewiesen.
(APA)