Berlin - Der deutsche Schriftsteller Siegfried Lenz, der sich bereits in den 70er Jahren mit dem Leid deutscher Flüchtlinge 1944/45 befasste, hat seine Sorge über revanchistische Tendenzen geäußert. In einem Interview der Tageszeitung "Die Welt" (Donnerstagausgabe) sagte Lenz ("Deutschstunde") auf die Frage, ob seiner Meinung nach der "so genannte revanchistische Diskurs heute in Deutschland noch eine Rolle" spiele: "Ich lasse es unkommentiert, was ich in Ihrer Zeitung gelesen habe, dass nämlich die Sudetendeutschen eine Sammelklage gegen die Republik Tschechien angestrengt haben. Mir scheint, man muss auch im Hinblick auf unsere Gegenwart noch sehr besorgt sein." Das Leid der Opfer festhalten Er habe keine Angst vor Beifall von der falschen Seite gehabt, während er an seinem 1978 erschienenen Roman "Heimatmuseum" schrieb, sagte der gebürtige Ostpreuße Lenz weiter. "Maßgeblich war für mich im Umgang mit diesem Thema immer der innere Antrieb, das Leid der Opfer festzuhalten, die über endlose Schneeflächen, bedroht durch tief fliegende Kampfflugzeuge, gequält von Kälte, Hunger, Durst und einer unermesslichen Unsicherheit, um ihr Leben liefen aus Furcht vor russischer Rache." Zur neuen Novelle von Günter Grass "Im Krebsgang", die den Untergang des deutschen Schiffs "Wilhelm Gustloff" mit 10.000 Menschen - Zivilisten und Soldaten - an Bord vor 57 Jahren auf der Ostsee behandelt, sagte Lenz: "Für die Verarbeitung von historischen Katastrophen gibt es keine Verspätung. Manche Verletzungen sitzen so tief, dass es seine Zeit braucht, bis sie dargestellt werden können." So sei Tolstois epochaler Roman "Krieg und Frieden" 50 Jahre nach Napoleons Marsch auf Russland erschienen. (APA)