Wien - Wirklich überraschend war das Auftauchen des Gotan Project nicht. Sein Crossover von zeitgenössischem Dancefloor und Tango repräsentiert einen weiteren Versuch, einem leidlich ausgereizten Genre - im Wesentlichen dem mannigfaltigen Gebiet des TripHop - mittels eines traditionellen Stils neue Impulse zu verleihen. Ein allseits bekannter Kunstgriff, wenn man an die zahllosen Fusionen mit Elementen aus Jazz, Bossa Nova, Brasil oder Dub der letzten Jahre denkt.Dass viele dieser wilden Ehen bloß oberflächlichen Austausch von rhythmischen Höflichkeiten betreiben, wie etwa die britischen Da Lata mit ihrem Brasil-Dancefloor-Mix oder jüngst die schwedischen Koop, die Spurenelemente von Walzer in ihre Grooves einbauen, ist angesichts der Aufgabenstellung "Tanzbarkeit" verständlich. Der Halbwertszeit dieser Entwürfe arbeitet es jedoch nicht zu: Zu berechenbar erscheinen sie und kratzen emotional bestenfalls an der Oberfläche. Dem Vollzug einer Ehe unter solchen Vorzeichen noch am nächsten kommen nun die Anzugträger des französischen Gotan (ein schlichtes Anagramm für Tango) Project. Vor allem, weil die elegante, mit sexuell aufgeladener Stimmung gepaarte Schwermut dieser sehr archaischen Musik jenen Tiefgang garantiert, der sich mittels eletronischen Groove-Getüftels allein wohl kaum einstellen würde: Das Akkordeon verführt, die akustische Gitarre wehklagt in die Ferne, während das Klavier die Hoffnung am Leben hält. Dazu moderne Beats und Grooves in seligmachender Symbiose. Doch auch der Weg dorthin war steinig, wie Arnaud Boivin, Labelchef und DJ des Gotan Project, beschreibt: "Es begann 1999, als Philippe Cohen Solal sich intensiv mit elektronischer Musik beschäftigte und begann, diese mit Gitarrist Eduardo Makaroffs Vorliebe für argentinischen Tango zu verbinden. Die ersten Versuche der beiden waren noch komplett misslungen: Aber Stück um Stück war zu bemerken, dass sie ihrem Ziel näher kamen." Erreicht wurde dieses Ziel schon einmal, 1981, als Grace Jones mit ihrem Clubhit I've Seen This Face Before (Libertango), einer Version von Astor Piazzollas Libertango, die Clubs im Sturm nahm. Einer Nummer, die heute noch Vorbildwirkung auf die Gotaner hat: "Das Project versucht wie Grace Jones den Tango in einen zeitgenössischen Dance-Kontext zu stellen. Manchmal eröffnen wir als Referenz das DJ-Set mit Grace Jones." Fanpost! Nun ist also relativ leicht nachvollziehbar, was der Tango der elektronischen Musik gibt. Aber findet auch umgekehrt ein Austausch statt? Bereichert die junge Elektronik den alten Tango? Boivin: "Wir bekommen viel Fanpost von argentinischen Tangoschulen. Das ist schon sehr erstaunlich, weil etwa Astor Piazzolla, als er von New York zurück in seine Heimat kam, als Verräter am Tango behandelt wurde, weil er seinen Tango den Einflüssen von Jazz und anderer schwarzer Musik aussetzte. Aber Tango ist in Argentinien keine Alte-Leute-Musik. Es gibt sehr viele Clubs, in denen junge Leute klassischen Tango tanzen. Dass diese dann eher ein offenes Ohr für Modernisierung besitzen, scheint bei uns eben der Fall zu sein sein." Die Mischung aus klassischem Erscheinungsbild und zeitgenössischer Clubkultur versucht das Gotan Project auch live umzusetzten. Boivin: "Wir versuchen Tango in seiner ursprünglichen und in der ,Gotan-Version' zu präsentieren: Gustavo Beytelmann, einer der berühmtesten Tangospieler überhaupt, spielt Klavier. Neben ihm steht eine insgesamt siebenköpfige Band auf der Bühne: Geige, Gitarre, Bass, Akkordeon und zwei Mann an der Elektronik." Mit dieser höchst erfolgreichen Besetzung ist man zurzeit weltweit auf Tour: diese Woche in Österreich. In diesem Sinn: Alles Tango!(Karl Fluch - DER STANDARD, Print, 13.02.2002)