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"Egal ob's ums Leben oder ums Sterben geht, singen und saufen tun die Leut' immer." Ob diese Einsicht als in Holz geschnitzter Sinnspruch schief in einer Bauernstube hängt oder in New Orleans beim Friedhofswirt danach gelebt wird, sie bestätigt jedenfalls, dass es keinen besseren Seelentröster geben kann, als einen singenden Wirt. Ein solcher ist Chuck E. Weiss, und seine Biografie wie auch sein Werk lassen darauf schließen, dass er etliche jener Schattierungen des Lebens kennt, die zwischen dem ersten und dem letzten Schnaufer liegen. Bleichgesichtiger Rhythmus-Verantwortlicher Bereits als Teenager ging der in Denver, Colorado, geborene Weiss als Schlagzeuger des Bluesmannes Lightnin' Hopkins mit auf Tour. In den späten Sechzigern stand das Bleichgesicht an der Seite von Größen wie Willie Dixon, Dr. John oder Muddy Waters auf den Bühnen des amerikanischen Kontinents und gab als Rhythmus-Verantwortlicher seiner Schepperbude Beton. Als würde das als musikalische Prägung für ein Leben noch nicht reichen, traf er 1972 Tom Waits. Mit diesem Bruder im Geiste und an der Bar ging er schließlich nach Los Angeles. 1981 debütierte er dort mit dem Album The Other Side Of Town und rackerte fortan einmal die Woche als Clubmusiker in einer Hütte namens The Central, die er später zusammen mit Johnny Depp übernahm und zum heute legendären Viper Room machte. Pensionsvorsorge auf amerikanisch. Amerikanische Traditionsmusik ohne musealen Mief

Wie Waits ist auch Weiss ein instinktsicherer und talentierter Bewahrer amerikanischer Traditionsmusik im Einzugsgebiet des Blues, ohne deshalb musealen Mief zu verbreiten wie, sagen wir, der "Claptomane" Eric Clapton. 1999 veröffentlichte der Mann mit dem exzentrischen Sehbehelf das Album Extremely Cool, das sich am Waitschen Spätwerk orientierte, jedoch mehr mit den Muskeln spielte und sich ruralem Blues eher verbunden zeigte als dem Image des versoffenen Bar-Pianisten. Denn: Ein Wirt, der selber sein bester Gast ist, hat bekanntlich ein Problem . . . oder zwei.

Musikalisches Mississippi-Delta

Auf der nun vorliegenden CD Old Souls & Wolf Tickets begibt sich Weiss musikalisch ins Mississippi-Delta und klaubt sich aus den dort angespülten Versatzstücken sein Album zusammen. Jazzige Trauerkapellen-Bläser schleppen sich mühsam Richtung ausgehobener Grube, während ein Organist unter Einfluss kaum seine fiebrigen Finger unter Kontrolle halten kann. Schwindsüchtiger Akustik-Blues legt sich größenwahnsinnig mit Boogie Woogie und angestochenen Voodoo-Trommeln an. Professor Longhair lässt schön grüßen!

Lieder von Barfliegen auf Mission

Wenn Weiss also von einem "Sneaky Jesus" greint, dreht es sich weniger um einen Erlöser, sondern vielmehr um eine Barfliege auf Mission: "Noch eine Runde!" Aussöhnung findet schließlich bei fetten Orgelschüben statt. Das Ganze präsentiert der Weiss mit breitem Grinsen. Pure Lebensfreude spricht aus seinem Album. Ob mit Quietsch-Stimme oder tiefem Blues-Timbre, ob mit gebrochenem Herzen oder als angeberischer Autobesitzer, der singende Wirt liebt seine Gäste - und sie ihn.
(Karl Fluch im RONDO/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.02. 2002)
Chuck E. Weiss: Old Souls & Wolf Tickets (Zomba)