Wien - Depression als Thema eines Theaterabends ist ein gewagtes, nicht zuletzt formal forderndes Unterfangen: Den Zustand der seelischen Lähmung aus dem Kerker des Kopfes ans Licht der Öffentlichkeit zu heben, widerspricht allen herkömmlichen Bühnengesetzen von Entwicklung und Handlung. Als die englische Autorin Sarah Kane ihren letzten Text 4.48 Psychose veröffentlichte, wusste sie um die formalen Schwierigkeiten der Umsetzungen des Krankheitsbildes in einen theatralischen Text. Sie entschied sich für eine naturalismusfreie, auf Personen verzichtende Niederschrift der Stimmen aus dem Inneren des Kopfes. Neun Monate lang nutzte sie die klaren Stunden zwischen den lähmenden Krankheitsschüben, um das Stück zu vollenden. Wenige Tage später nahm sie sich, 28-jährig, das Leben. Kanes Werk hatte sich zu immer größerer Strenge, Abstraktion und Musikalität entwickelt. In 4.48 Psychose - die Zahl bezeichnet, so Kane, jene Stunde vor Anbruch der Morgendämmerung, in welcher sie selbst, schlaflos, die kälteste Klarheit fühlte - komponierte sie einen von viel Stille umgebenen Text, der die Monologe der Krankheit, Selbstanklage und Bezichtigung abwechselt mit den Dialogen von PatientIn und Psychologe. Für jede Inszenierung stellt sich die Frage, wie die körperfreie Eindringlichkeit des Dramas auf der Bühne umgesetzt werden kann. Nicht zuletzt fragt sich, ob und, wenn ja, wie viele Schauspieler die Worte verkörpern sollen. Für das Kasino des Wiener Burgtheaters bat man James Macdonald als Gastregisseur. Macdonald kennt das Werk Sarah Kanes und seine inneren Gesetze wie kaum jemand: Er hatte die Autorin von Anfang an begleitet, drei ihrer fünf Dramen - auch 4.48 Psychose - in London uraufgeführt. Er verteilte die Textpassagen auf drei Darsteller, zwei Frauen, einen Mann (Heike Kretschmer, Maria Hengge, Lukas Miko), wählte als schlichten Raum (Bühne: Jeremy Herbert) ein weißes Bühnenquadrat, das schräg ein Spiegel überwölbt, der die Waagerechte in die Senkrechte spiegelt und umgekehrt. Um es kurz zu machen: Der Abend scheiterte weitgehend an der fehlenden Sensibilität in der Textarbeit. Insbesondere Maria Hengge traf nicht ein Mal Stimmung und Tonfall von Kanes Worten. Vital und selbstbewusst spielte sie am Text vorbei. Einzig Heike Kretschmer gelangen immer wieder berührende Momente. Wie schon in Yoshi Oidas Inszenierung von Jon Fosses Traum im Herbst zeigt sich, dass ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Regisseur - ungeachtet seiner unangezweifelten inszenatorischen Qualitäten - einen Text, in dem alles auf die (auch psychologische) Präzision des richtigen Tons ankommt, nur selten stimmig in Szene zu setzen vermag. Erkenntnis wie Desaster stecken bei einer Inszenierung von 4.48 Psychose in der sprachlichen Detailarbeit. Und an der mangelt es dem Abend fatal. (DER STANDARD, Printausgabe 19.02.2002)