Wien - Wie so oft im Leben war die Aufregung ums Reinkommen größer als die beim anschließenden Drinnensein. Atemlos: "Bitte, ich bin extra aus der Steiermark angereist!" Weltmännisch: "Ich steh' ganz sicher auf der Gästeliste." Eher verzweifelt: "Ich bin die Cousine vom Freund vom Nachbarn vom Schlagzeuger." Aber: Nichts hat geholfen. Eine lange Schlange Einlassbegehrender musste mit ebensolchen langen Gesichtern wieder nach Hause geschickt werden. Das Flex war am Freitag anlässlich des Konzerts von The Notwist restlos ausverkauft. Im Saal waren die Erwartungen entsprechend hochgeschraubt. Zumal die Weilheimer wegen ihres aktuellen Albums Neon Golden von der Fachpresse in den Himmel gelobt werden. Und auch "chartstechnisch betrachtet" (© Dieter Bohlen) befindet sich Neon Golden auf Höhenflug. Und zwar mit einer mehrheitstauglichen Vereinigung von Rock und elektronischer Musik, die ihre Einflüsse aus im Bandumfeld etablierten Projekten - wie dem von Martin Gretschmann betriebenen Console - genauso verwertet wie die Errungenschaften des elektronischen Jazz-Outfits Tied + Tickled Trio. Entsprechend ausgetüftelt und mittels "richtigem" Pop bereichert klingen dann auch die neuen Notwist-Songs. Live erschien diese Pluralität jedoch als ein stellenweise unentschlossen wirkender Tanz auf verschiedenen Hochzeiten. Eingedenk des eigenen Werdegangs ließ es die seit gut zwölf Jahren bestehende Band erst einmal etwas krachen: Lauter Gitarrenrock, fliegende Köpfe und Gesang, der so tat, als würde er etwas wollen, dominierten. Gretschmann brachte seinen Laptop im rhythmischen Bereich ins Spiel oder produzierte nette Geräusche Marke Fieps und Plönk. Der so gebotene "Apple"-Rock wurde wohlwollend aufgenommen, ohne einen jedoch so richtig mitzureißen. Im weiteren Verlauf der Darbietung prallte dann Jazz aus der Dose auf die Gitarren: Jazz-Rock? Galt das nicht mal als höchste Freude "progressiver" Musikpädagogen und wurde nicht auch wegen dieser Art musikalischen Dünnpfiffs das Gegenmittel Punk entwickelt? Versöhnlich wirkten angesichts solcher sich aufdrängender Gedanken Stücke wie Pick Up The Phone oder Pilot , der Hit des Albums, in denen es The Notwist noch am besten gelang, die in diesen Stücken sehr ausgeprägte Originalität auch live umzusetzen. Sonst fehlte den fünf Bayern live einfach der Biss. Es herrschte bemühte Kontrolle, wo hemmungslose Hingabe angesagt gewesen wäre: Airbag und Zentralverriegelung statt Ralleystreifen und Vollgas. Der Mittelklassewagen aus der Nachbarschaft fand letztlich sein musikalisches Pendant. Wenn einen das nicht irgendwie traurig stimmt ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 2. 2002)