Der französische Musiker Olivier Lambin alias "Red" interpretiert Leonard Cohens Klassiker "Songs From a Room" neu. Operation gelungen, Patient lebt! Berührende Songs zwischen Powerbook und Vormoderne.
Von Christian Schachinger
Eigentlich gehen solche Zumutungen ja gewöhnlich schief. Zumindest belegt die Geschichte, dass es keine besonders gute Idee ist, ein Album, das schon einmal von jemand anderem komponiert und eingespielt worden ist, Stück für Stück ein zweites Mal aufzunehmen. Das ist schon bei den slowenischen Konzept-Rockern von Laibach mit dem Beatles-Werk Let It Be aus 1970 so gewesen. Und auch die Vorgaben für die heimischen Grunge-Rocker Orange Baboons waren Ende der 80er-Jahre mit der Neuinterpretation des legendären und ebenso legendär vergriffenen Albums Love And Other Crimes von Lee Hazlewood aus 1968 möglicherweise drei Stockwerke über der Machbarkeit beheimatet. Ein dritter Fall musikalischer Spurensuche in einem Einzelwerk der Musikgeschichte ist jetzt bekannt geworden. Er- staunlich dabei: Wie Laibach und die Orange Baboons geht auch der französische Musiker Olivier Lambin unter seinem Pseudonym Red eine Arbeit aus der selben Zeit an. Leonard Cohen veröffentlichte 1969 mit seinem zweiten Album Songs From A Room eine nach dem Erfolg seines Debüts The Songs Of Leonard Cohen mit darauf enthaltenen Hits wie Suzanne oder Sisters Of Mercy vor allem auch kommerziell wenig beachtete, sperrige Liedsammlung, aus der damals wie heute einzig Bird On A Wire oder höchstens noch The Partisan hervorstechen. Red begeht im Vergleich zu seinen album-ganzkörper-adaptierenden Vorgängern Gott sei Dank nicht den Fehler, dem unterkühlten bis schwarzhumorigen Understatement Cohens mit dem Mittel der dramatischen Überhöhung beikommen zu wollen und somit künstliche Autoverfolgungsjagden in einen Autorenfilm hineinzuschneiden. Der Multiinstrumentalist aus Lille, der so gar nichts vom unseligen und überkandidelten französischen Chanson-Unwesen in seiner Arbeit zeigt, sondern sich schon auf seinem ersten Album, Felk , tief in die US-amerikanische Mythologie und Grammatik der Frühzeit eingelassen hat (Hank Williams, Robert Johnson, Leadbelly . . .), belässt die schon im Original knapp bemessenen Songs im Wesentlichen in ihrem fragmentarischen Charakter. Allerdings gelingt ihm der Kunstgriff, mit dem Rückgriff auf die popmusikalische Vormoderne erstens nicht nur wieder einmal den Song zurück in die Jetztzeit zu holen. Die brutal und gnadenlos, allerdings nicht um des reinen Effekts willen dem analogen Instrumentarium (Banjo, Jammergitarre) beigestellte Laptop-Störgeräusche-Elektronik macht Songs From A Room auch zu einer tatsächlich modernen Angelegenheit. Wenn der große neue Country- und Folksänger Will Oldham mit seiner berührenden Wackelstimme ein Album mit modernen Menschen wie Christian Fennesz oder Oval aufnehmen würde, dies wäre das ungefähre Ergebnis. Songs aus dem Schwermut Forest. Auch Computer haben den Blues. Und auf einem Powerbook kann man auch prächtig traurige Gedichte schreiben.
Red: Songs From A Room (Extraplatte)
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. 3. 2002)