Der Wiener Zahnarzt Heinrich Rieger besaß bis 1938 eine exquisite Sammlung der Moderne mit rund 800 Kunstwerken. Nach dem Krieg wurde nur ein Bruchteil zurückgestellt. Nun tauchen manche Bilder auf: in Museen.
von STANDARD-Mitarbeiter Stephan Templ

Wien - Der Augenarzt Rudolf Leopold, Direktor des Leopold-Museums, lässt sich gerne als Entdecker Egon Schieles feiern. Er hatte in Österreich aber auch leichtes Spiel: Die wahren Entdecker des Künstlers waren entweder vertrieben oder im Holocaust ermordet worden.

So Heinrich Rieger. Der Zahnarzt besaß bis 1938 die wahrscheinlich repräsentativste Sammlung der Moderne in Österreich. Nach dem Anschluss wurde die Ausstellungsstätte dieser Bilder, eine Villa in Gablitz am Stadtrand von Wien, von der dortigen Gemeinde "arisiert" und zum Gemeindehaus umfunktioniert, das sich auch heute noch in dieser befindet. (Nach dem Weltkrieg zahlte die Gemeinde dem Erben nach Heinrich Rieger lediglich 50.000 Schilling für die Immobilie.)

Von den bekannten "Arisierern" Kasimir und Welz geraubt

Die 800 Bilder umfassende Kollektion - darunter Werke von Albin Egger-Lienz, Max Oppenheimer, Max Liebermann, Alfons Walde, Oskar Kokoschka, Albert Paris Gütersloh und eben Egon Schiele - raubten die bekannten "Ariseure" Luigi Kasimir (er "übernahm" 1938 die Kunsthandlung Goldmann & Halm) und Friedrich Welz (er "übernahm" die Galerie Würthle). Heinrich Rieger und seine Frau Berta wurden ermordet.

Deren Sohn Robert überlebte in New York und bemühte sich um die Rückstellung der Güter. Die Wahl seines Anwaltes war aber nicht die glücklichste: Er nahm Christian Broda, bekannt als Vorkämpfer für einen humanen Strafvollzug. "Milde" ließ dieser auch im Falle Rieger walten. Allerdings für Friedrich Welz, den "Ariseur". Denn Broda entlastete ihn - und so kam es, dass Robert Rieger von den 800 Werken lediglich einen Bruchteil restituiert bekam.

Verschollen

Der Rest der Sammlung galt als verschollen. So verschollen, dass Friedrich Welz bereits 1949 das Schiele-Gemälde Wiesenlandschaft mit Häusern (1907) an die Österreichische Galerie "gutgläubig" verkaufen konnte. So "gutgläubig", dass das Bild noch heute im Museum unter der Nummer 4326 invent"arisiert" ist.

Und das, obwohl man Robert Rieger gerade eben erst übel mitgespielt hatte: Hinter seinem Rücken brach Direktor Karl Garzarolli-Thurnlackh beim Ankauf von elf eben restituierten Kunstwerken die Zusagen. Denn Schieles Kardinal und Nonne blieb nicht in der Österreichischen Galerie (versehen mit einem Hinweis auf Rieger), sondern ging, wie auch das Bildnis Wally im Tauschweg an den jungen Rudolf Leopold.

Verräterischer Stempel

Zudem deckte der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer vor zwei Jahren in seinem Buch "Meister des Verwirrens - Die Geschäfte des Kunsthändlers Friedrich Welz" (Czernin Verlag) einen weiteren Verkauf aus der geraubten Kunstsammlung Rieger auf: Es war wieder Friedrich Welz, der 1958 das Schiele-Gemälde Segelschiffe im Hafen von Triest (1907) an das steirische Landesmuseum Joanneum in Graz veräußerte.

Dessen Provenienzrecherchen gelten zwar als vorbildhaft. Aber niemand warf offensichtlich einen Blick in das Buch von Kerschbaumer, ja nicht einmal das fragliche Bild dürfte man sich genauer angesehen haben: Die Rückseite trägt den Stempel "Medizinalrat Heinrich Rieger".

Lippenbekenntnisse in der Stiftung Leopold

Und in der Privatstiftung Leopold gibt es vor allem Lippenbekenntnisse, was die Provenienzforschung betrifft: Die bisher veröffentlichten Ergebnisse erscheinen selbst Mitarbeitern eher dürftig. Lediglich als offenbar neuralgisch eingestufte Werke sind in der auf der Homepage abrufbaren Provenienzdatenbank näher ausgeführt. Aber ohne Maßangaben und - wie der STANDARD in drei Fällen nachwies - unvollständig.

Zum Bild Waldinneres (1914) von Anton Faistauer wird als Herkunft angeführt: "Heinrich Rieger, Wien; Friedrich Welz, Salzburg; Dorotheum Wien - Auktion; Rudolf Leopold, Wien." Ein weiteres von Welz geraubtes und nicht zurückgestelltes Bild?

Fachmann Leopold

Rudolf Leopold ist ohne Zweifel ein Fachmann. Zeit seines Sammlerlebens hat er sich mit der Kollektion Rieger befasst. 1991 fungierte er - wie die Wiener Historikerin Tina Walzer in ihrem Aufsatz zur Sammlung Rieger nachwies - gar als Gutachter bei einer Dorotheumsversteigerung zu den zwei Schiele-Blättern Bildnis einer Frau im Dreiviertelprofil (1917) und Kirche, Häuser, Haus, Häuser, im Hintergrund Bergkette (1917).

Die beiden mit dem Stempel "Medizinalrat Heinrich Rieger" versehenen Arbeiten stammen aus der Verlassenschaft nach Luise Kremlacek, die u. a. die von Welz "arisierte" Kunsthandlung Würthle geführt hatte. Rudolf Leopolds Angaben zur Provenienz bleiben der Öffentlichkeit aber vorenthalten: Das Gutachten befinde sich nicht mehr im Dorotheum, es sei dem Käufer mitgegeben worden.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 05.03. 2002)