Standard: Vor zehn Jahren hat Österreich die UN-Konvention für die Rechte des Kindes ratifiziert, die als Prinzipien festhält: Überleben, Entwicklung, Schutz, Ressourcen und Partizipation. Was hat's gebracht? Wintersberger: Es war ein Anstoß. Die Politiker dachten ja zunächst, die Ratifizierung sei nur ein Akt der Solidarität mit Dritte-Welt-Staaten. Immerhin haben sie dann Experten angehört. Seither diskutieren sie ernster über das Senken des Wahlalters. Die Kultur der Partizipation ist gewachsen, es gibt Jugendgemeinderäte und mehr Mitsprache bei der verbandlichen und offenen Jugendarbeit. Bei den monetären Transfers liegt Österreich in der OECD recht gut. Wichtig wäre aber eine Verankerung in der Verfassung. STANDARD: Wo sehen Sie den größten Nachholbedarf? Wintersberger: Bei den Betreuungseinrichtungen. Da sind wir sehr konservativ, wenn auch unterschiedlich nach Bundesländern. Anderswo wird oft nicht verstanden, wieso man bei uns diskutiert, ab welchem Alter Betreuung außer Haus zuträglich ist. Die skandinavischen Beispiele zeigen: Das hängt nicht vom Alter, sondern von der Qualität des Angebots ab. In Dänemark wird sogar über Partizipation von Kindern in Kindergärten und Krabbelstuben diskutiert. STANDARD: Sie sprechen in einer jüngeren Arbeit von struktureller Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern in unseren Industriestaaten. Wintersberger: Ein Beispiel: Man müsste sich etwa die Folgen ansehen, die Verkehrsströme in der Europäischen Union für Kinder und ihre Lebensräume haben. Oder die Strukturanpassungen durch Maastricht: Wo wird seither gespart? Die EU-Kommission erwidert darauf, sie habe keine gesetzliche Basis. Also müsste der Rat der Kommission einen Auftrag erteilen. Auch für Eurostat. STANDARD: Gibt es keine kinderbezogene EU-Statistik? Wintersberger: Bei den Kühen ist sie besser. Vor allem aber: Seit 1995, seit erstmals von erhöhtem Armutsrisiko für Kinder in der EU die Rede ist, werden Statistiken geschönt, andere Parameter angelegt. Ohnehin werden nur die Haushalte erfasst. STANDARD: Wer sieht sich österreichische Gesetze auf Kindertauglichkeit an? Wintersberger: Es gibt keine staatliche Einrichtung. Dafür wäre zum Beispiel eine weisungsfreie Kinder- und Jugendanwaltschaft auf Bundesebene nötig. Die lobenswerten regionalen Anwaltschaften haben mit individuellen Beschwerden genug zu tun. (Benedikt Sauer, DER STANDARD Print-Ausgabe 14.März 2002)