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Die "Siemens Academy of Life" lädt regelmäßig Persönlichkeiten ein, ihre Erfolgsstory an Jungunternehmer und -manager zu vermitteln: zuletzt die britische Modedesignerin Vivienne Westwood. Im Standard-Gespräch äußerte sie ihr Misstrauen gegenüber festgefahrenen Rezepten und kopierten Lebensentwürfen.

Markus Mittringer

Wien - "Die Leute glauben immer, die Ideen wären in ihren Köpfen. Aber da sind sie nicht. Jeder glaubt immer, er hätte eine Erzählung im Kopf. Das mag stimmen, aber ohne Bewusstsein über die Welt ringsum, ohne Kenntnis, sind diese Erzählungen belanglos, solipsistische Übungen."

Ohne Geschichte geht gar nichts. Wer mit der Historie nicht firm ist bis zurück zu Homer, der wird auch nichts Neues (er-)finden. Vivienne Westwood ist da radikal. Die Kröte ,Fortschritt' will sie jedenfalls nicht schlucken, der Erzählung von den neuen Technologien, die den Fortschritt bringen werden, misstraut sie. Und der Verklärung persönlicher Befindlichkeit zur Kunst sowieso. "Ich halte es da mit T. S. Elliot, der meinte, das Bestreben der Kunst sollte sein, jegliche Persönlichkeit, jegliche Individualität abzulegen. Nur so kann Originäres zum Ausdruck kommen."

Deshalb gibt es für die Westwood auch keine Kunst mehr, heutzutage. Weil keiner mehr sein Handwerk versteht, ein jeder glaubt, es ginge ganz ohne Basiswissen: "Aber wer die Technik aufgibt, schüttet das Kind mit dem Badewasser aus." Das Einzige, was man heutzutage braucht, um ,Künstler' zu werden, fürchtet sie, ist ein guter Manager: "Der klaubt einen irgendwo auf, stellt einen wo hin und kümmert sich darum, dass man möglichst lange auch dort bleibt. Und dann kann man Kühe in Essig einlegen oder die Namen all seiner Freunde an die Wand schreiben, und Millionen von Pfund fließen. Das ist Unsinn. Es ist einfach dumm, wenn Leute in die Fußstapfen von Andy Warhol treten."

Die Marketingleute haben die Kunst übernommen. Und zwar deswegen, weil sie die ganze Welt übernommen haben. "Das ist die Krankheit, an der wir leiden", meint Vivienne Westwood, "diese Leute haben alles geentert und glauben, sie bräuchten nur Meinungsumfragen zu folgen, und schon wären sie jemand. Diese Leute korrumpieren die Gesellschaft."

Sie selbst würde keine Modezeitschriften lesen, das "Neueste" interessiere sie absolut nicht. Hat sie auch nie interessiert. Wenn sie etwas gelernt hat, dann davon, zu kopieren, um derart sich möglichst viel Handwerk anzueignen. Und sich umzusehen. Man muss die Zeit bis in die Knochen spüren, um zu erkennen. "Die Welt ist überlaufen von diesem völlig physisch bestimmten Typus: aktiv, aggressiv, laut, immer fortschreitend. Das ist gefährlich. Nichts wird mehr zu Ende gedacht. Jeder macht, was er will."

Wie sich bei ihr denn, wider die Unzeiten, der Erfolg eingestellt hätte? Zunächst, unterstreicht sie ihre Scheu vor dem Wort "Erfolg". Man spüre den doch kaum, bei all den täglichen Problemen, die da zu lösen wären. "Wenn ich meinen Erfolg bemessen will, liegt er in der Logistik, wie es mir gelungen ist, die Verbreitung meiner Kleidung zu organisieren."

"Ich bin einzigartig"

"Ich habe ein starkes Ego, und ich mag es, wenn sich die Leute darüber bewusst sind, was ich mache. Weil meine Arbeit gut ist. Also will ich Feedback und dass das gewürdigt wird. Ich bin ja einzigartig in der Modewelt. Die einzige Self-made-Person. Ich habe keine Company geerbt, keine Maschinerie, die Produktion und Werbung unterstützt hätte. Zunächst dachte ich ja, das sei ein Problem, und ich hätte das alles doch gerne gehabt. Aber es führte letztlich dazu, dass ich immer mein eigener Richter sein konnte, mir niemand anschaffen konnte, was zu tun war."

Einen Karriereplan hätte es nicht gegeben. Sehr wohl aber einen Punkt in ihrem Leben, an dem sie beschlossen hat, es wissen zu wollen: "Das war in dem Moment, als sich die Sex Pistols entfalteten. Ich habe immer noch mit Malcolm McLaren gearbeitet. Ich hatte meinen Zugriff auf die Öffentlichkeit immer durch meinen Shop in der Kings Road. Aber es war Zeit, das alles zu erneuern. Weitermachen oder nicht? Ich habe mich ja nie als Modedesigner begriffen, habe eben diesen rebellischen Look entwickelt. Spät erst realisierte ich den Effekt meiner Arbeit, ihren enormen Einfluss auf die Modewelt."

"Ich komme aus dem Norden von England, und ich habe mir überlegt, dass ich wohl die längste Zeit meines Lebens ziemlich stumpfsinnig gewesen bin. Ich hatte nicht die geringste Ahnung von der Welt. Ich war gerade einmal nach London gegangen, nicht weiter. Das war mein Horizont." An dem Punkt hat Vivienne Westwood beschlossen, erfolgreich zu werden. Und gerade um diese Welt zu verstehen, war es nötig, auch Geschäftsfrau zu werden: "Ich wollte meine Ideen selbst ausbeuten. Ich brauchte die Genugtuung, es selbst zu machen, nicht für andere."

Der Rest der Geschichte ist bis hin zum Parfum "Boudoir" bekannt. Könnte es einmal ein Haus "Westwood" ohne Vivienne Westwood geben, ohne ihre Entscheidungshoheit? "Wenn ich tot bin!" Mehr Zeit würde sie aber doch gerne haben. Zeit, um Theater zu machen. Nicht die Kostüme, das kann sie jetzt auch. "Aber es gibt so viel zu dramatisieren, so viel wieder zu entdecken." Theater mit einem aktiven Publikum könnte immer eine moralische Instanz sein, aber im Moment liegt auch hier alles im Argen: "Es fehlen die Ideen!"

(DER STANDARD, Print, Sa./So., 23.03.2002)