Leipzig - Der Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass hat am Freitag auf der Leipziger Buchmesse erstmals aus seiner Novelle "Im Krebsgang" gelesen. "Das Thema ist für mich kein Tabubruch", sagte Grass und widersprach damit der Ansicht, das in dem Buch behandelte Thema Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkriegs sei bisher in der deutschen Literatur nicht behandelt worden. Schon in seinen früheren Werken "Blechtrommel" und "Hundejahre" habe es auch Hinweise auf die jetzt in den Mittelpunkt gestellte Katastrophe des Untergangs der "Wilhelm Gustloff" gegeben. In der Grass-Novelle, die gleich nach dem Erscheinen im Februar auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestsellerliste kam, geht es unter anderem um den Untergang des deutschen Passagierschiffs "Wilhelm Gustloff". Es wurde am 30. Jänner 1945 von einem sowjetischen U-Boot in der Ostsee versenkt. Damals starben etwa 9.000 Menschen, rund 1200 überlebten. "Ich wusste, ich muss über das Thema schreiben, aber ich fand lange keinen Zugang", sagte der Schriftsteller zur Entstehung des Werkes. Entscheidend sei dann gewesen, das Geschehen nicht allein aus der Vergangenheit, sondern auch von der Gegenwart her zu erzählen. Der Titel "Im Krebsgang" beschreibe dabei nicht zuletzt seine Arbeit als Erzähler: Die Masse des Materials, die Verknüpfung von Handlungssträngen über drei Generationen hinweg sei nur "im Krebsgang" zu bewältigen gewesen. "Die Krebse kommen voran, aber sie täuschen dabei einen Rückwärtsgang vor", sagte Grass. Wichtig sei ihm, dass das Unrecht und Leid am Kriegsende, von dem das Buch handele, nicht allein aus deutscher Perspektive gesehen werde. "Wir Deutsche haben das Unrecht und die Vertreibung in die Welt gesetzt - beginnend mit dem Angriff auf Polen -, bis es dann auf uns zurückschlug", meinte Grass.(APA/dpa)