Das Linzer Duo Attwenger präsentiert derzeit nicht nur sein neues Album "Sun", sondern auch seine ideale Arbeitskleidung, den Anzug. Auf den Charakterkopf kommt es an, befindet Christian Schachinger . Möglicherweise ist das jetzt eine etwas verstiegene These, aber: Entgegen aller Vorurteile ist so ein Anzug ja heute die ideale Arbeitskleidung für einen Attwenger. Immerhin geht es dem Linzer Duo darum, bei einer möglichst schlichten und, trotz gelegentlicher, durch die klein gehaltene Besetzung Schlagzeug/Ziehharmonika bedingter Ausbrüche eigentlich unspektakulären äußeren Form die Kämpfe, die hier inhaltlich wüten, eher unterhalb der Oberfläche auszutragen. Nach außen regiert, mittlerweile über fünf Alben zu einem "klassischen" Attwenger-Sound perfektioniert, Sachlichkeit statt Sentiment. Zwar sorgten Attwenger ab Anfang der 90er-Jahre mit ihrer wilden Mischung aus oberösterreichischer Volksmusik und einer aus dem Punk kommenden Hau-drauf-Haltung für Aufsehen - inklusive eines damals mit ungefähr zeitgleich aufgetauchten Konkurrenten wie Hubert von Goisern gestarteten Höhenfluges der "Neuen Volxmusik". Im Gegensatz zur sowohl in volksmusikalisch eher der Brauchtumspflege verhafteten wie in einer altbackenen Rockmusik nach dem "Authentischen" suchenden Kollegenschaft jedoch befreiten sich Attwenger nach dem Debüt Most und dem Nachfolgealbum Pflug Mitte der 90er-Jahre von den Gefahren eines drohenden "Bauern-Jazz". Von dort zu den Mühen fortschrittlicher Musiklehrer in den 70er-Jahren, der Rockmusik mit Rock meets Classic "Niveau" zu verleihen, ist es nicht weit. Wie Schlagzeuger und Haupttexter Markus Binder jüngst im Interview mit dem STANDARD meinte: "Attwengern bedeutete immer schon: so wenig wie möglich." In diesem Sinn ist dann 1993 nicht nur Luft , das bahnbrechende dritte Werk von Attwenger zu verstehen. Auf diesem wurden damals nicht nur die Vorgaben der oberösterreichischen Gstanzln auf das Allernötigste reduziert. Die damalige Auseinandersetzung mit HipHop und verstärkt auch eigenen, nicht mehr aus dem lyrischen Fundus der Gstanzln schöpfenden, sondern sich verstärkt um die sprachlichen, besser gesagt sprachphilosophischen Ausdrucksmöglichkeiten von Wort und Musik kümmernden, emotionslos vorgetragenen Sprechgesangtexten leitete auch eine Entwicklung ein, die vier Jahre später auf Song zur Meisterschaft gebracht wurde. So wie es beim Behelfsmittel eines Anzugs bei aller klassischen Schlichtheit mehr als bei jedem anderen Kleidungsstück auf den Charakter(-Kopf) des Trägers ankommt, definierten die vier vom Ausdruck her schmucklosen und minimalistischen Tracks von Song den eigentlichen Kern von Attwenger. Mit dem grundsätzlich emotionslosen Behelfsmittel des Techno, dessen Reiz sich über die Liebe zum Detail und nicht über erratische Grundmuster erklärt, landeten Attwenger bei fünfzehnminütigen Einheiten, die ihren Reiz sowohl vom rhythmischen Aufbau wie auch von den knappen Texten her Minimalverschiebungen verdanken. Das beständige Kreisen um die eigene Achse förderte an indische Mantras erinnernde Kompositionen zu Tage, die sich aus der Verschränkung unterschiedlicher Bedeutungsfelder nähren. Der englische Begriff "Song" meint "Lied" ebenso, wie das oberösterreichische Wort "Song" schlicht "Sagen" bedeutet: "Werma seng werma song". Das neue Album Sun , entstanden nach fünfjähriger Pause, die dazu genutzt wurde, Attwenger zwar nicht neu zu erfinden, jedoch irgendwo in der Mitte der eigenen Geschichte zu positionieren, hält sich im Spannungsfeld zwischen Sound und Dialekt sämtliche Möglichkeiten der alten Entwürfe zwischen narrativen Strukturen und statischer Grundlagenforschung offen. Mit Gästen wie den bayrischen Elektronikern Couch, dem Boban Markovic Orkestar aus Serbien und dem britischen Avantgarde-Gitarristen Fred Frith unternehmen Attwenger eine Bestandsaufnahme. Neu erfinden können sie sich dabei nicht mehr. Nicht nur der Teufel aber steckt im Detail. Auch der Reiz.
Das Album zum Text: Attwenger Sun (Trikont/Hoanzl)
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, RONDO_Beilage, 29. 3. 2002)