Vorgestern um 20.30 im Filmmuseum : Der Philosoph Peter Sloterdijk in Elmau, von Alexander Kluge interviewt. Kluge zurückhaltend und respektvoll. Die Fragen sind kurz, die Antworten nehmen kein Ende, sind auch nicht wirklich Antworten. Sloterdijk spricht viel, rasch, blinzelnd und zugleich träge. Das junge und - wie ich bisher dachte - intelligente Publikum des Filmmuseums lauschte gespannt dem überheblichen Schwachsinn des Weltendeuters, seinen auswechselbaren Sprachblasen, die kein Ende nehmen (eines seiner dicken Bücher heißt auch "Blasen"). Die Zeitung täglich Alles , die immer noch einige vermissen (ich hörte unlängst am Nebentisch im Café Prückel, weshalb: Witze, Rätselseiten) hätte ihn zum Kolumnisten machen müssen, denn auch sie schreckte vor nichts zurück. Sloterdijk spricht, wie der Vater einer Mitschülerin in der Dollfußzeit, Professor Josef Nadler, in Äonen, aber er will sich dadurch abheben, dass er nicht wie üblich von den letzten zweitausend, sondern von den "letzten zweitausendfünfhundert Jahren" spricht: Dazu gehören für ihn Euripides, Epikur, Martin Heidegger, die Götter der Griechen und nördlichen Götterwelten - das "Leben an sich", wie er es versteht. Zum Glück wird im Film eine Fliege sichtbar, sie wirkt wirklich philosophisch. Sloterdijk lässt seinen Geist sprudeln. Und er beherrscht - wie Hitlers Sekretärin, derzeit im Metrokino - Leinwand und Publikum. Nur sehr viel weniger glaubwürdig: Frau Junge versuchte sich selbst zu begreifen, sagt zwischendurch "Ich muss nachdenken" oder "jetzt brauche ich Ruhe." Der Philosoph Peter Sloterdijk muss nicht nachdenken, er kann es auch gar nicht, und er braucht keinen Funken Ruhe. Peter Sloterdijk plappert vor sich hin: ein Wanderprediger, dem das ratlose Volk zuströmt, ein segenspendender Friseur. Die Kugelform von Köpfen und Sternensphären liegt ihm auch: Viel zu oft wird "der Erdball" bemüht. Im Gespräch mit dem geistig schlanken Intellektuellen Alexander Kluge wirkt der Philosoph Sloterdijk wie eine Schwangere im Endstadium, wo häufig Euphorien einsetzen. Aber die hat er nicht nötig. Das Geschwätz, das er zur Welt bringt und sicher weiter zur Welt bringen wird, schwebt ohnehin in den Sphären. Er triumphiert nicht einmal, ist ganz einverstanden. "Bin noch immer positiv", rief meine Schwester aus dem Glaspavillon der Kinderklinik, als sie Diphterie hatte und nicht entlassen werden konnte: Der Philosoph Sloterdijk käme nie aus der hellen, angenehmen Kinderinfektionsstation heraus, denn er ist unglaublich positiv - aber nicht bis zum Exzess. Exzesse lässt er nicht zu, hat sie auch gar nicht nötig. Im Einverständnis erinnert er an Kardinal Schönborn, zugleich an einen Mormonenhäuptling.
Die nächste "Unglaubwürdige Reise" wird am nächsten Freitag angetreten.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 4. 2002)