Inland
"Von Anfang an schief gelaufen"
VfGH-Präsident Adamavich über Ortstafeln: "Man muss irgendwann aufhören mit den Schuldzuweisungen"
Klagenfurt - Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zu
den zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten habe eine lange rechtliche
Vorgeschichte, erklärte VfGH-Präsident Ludwig Adamovich Montag abend.
Es sei auch nur verständlich, wenn man die vorherige Judikatur des
VfGH mit betrachte. An die 400 Zuhörer waren zu dem Vortrag des VfGH-Präsidenten ins
katholische Bildungshaus Sodalitas in Tainach (Bez. Völkermarkt)
gekommen. Wer erwartet hatte, der Präsident werde auf das heftig
diskutierte Erkenntnis vom 13. Dezember des Vorjahres eingehen, wurde
enttäuscht. Adamovich erteilte in seinem Vortrag einen "Grundkurs" in
Verfassungsrecht. "Worum es mir geht, ist, Verständnis herzustellen
für die verfassungsrechtlichen Fragen, die mit dem Minderheitenschutz
zusammen hängen", erklärte er.
Roter Faden in Volksgruppenfragen
Es gebe so etwas wie einen roten Faden in der Judikatur des VfGH
in Volksgruppenfragen, doch habe das Höchstgericht nicht in allen
Fragen zu Gunsten der Minderheit entschieden, betonte Adamovich. Als
sehr wichtige VfGH-Entscheidung der Vergangenheit bezeichnete
Adamovich ein Erkenntnis aus dem Jahr 1958. Damals wollte das Land
Kärnten wissen, ob das Volksgruppengesetz Bundes- oder Landessache
sei. Adamovich: "Nationalitätenrecht ist Bundeskompetenz, und diese
damalige Entscheidung ist in alle Richtungen bindend."
Auch ein VfGH-Erkenntnis von 1987, welches von den burgenländischen
Kroaten ausgelöst worden war, sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg
zur jüngsten Entscheidung gewesen, so Adamovich. Damals sei es um die
unmittelbare Anwendbarkeit des Artikel Sieben des Staatsvertrags
gegangen. Diese sei jedenfalls gegeben, auch wenn keine
Durchführungsverordnungen zu Gesetzen existierten.
Aufhören mit Schuldzuweisungen
In der lebhaften Diskussion nach dem Vortrag übte Adamovich Kritik
an der in Kärnten geführten Auseinandersetzung: "Man muss irgendwann
aufhören mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen, sonst wird das ein
Perpetuum mobile." Er stellte auch fest, dass die Ortstafelfrage in
Kärnten "von Anfang an schief gelaufen ist". Hätte man 1955 bei
Abschluss des Staatsvertrages diese Verpflichtung erfüllt, so hätten
die Menschen dies wohl oder übel akzeptiert. "Mit jedem Jahr, das man
gewartet hat, ist es schwieriger geworden."
Ein Zuhörer nahm neuerlich Bezug auf den Besuch des slowenischen
Staatspräsidenten Milan Kucan bei Adamovich und warf dem
VfGH-Präsidenten vor, parteiisch entschieden zu haben. Adamovichs
Antwort: "Die bloße Vorstellung, dass ein fremder Staatspräsident nur
mit dem Finger schnippen muss, und dreizehn Verfassungsrichter
entscheiden in seinem Sinne, ist vollkommen absurd." Er betonte
nochmals, dass er mit Kucan nicht über das Thema gesprochen habe.
Dass zweisprachige Ortstafeln Gebietsansprüche Sloweniens untermauern
würden, wie ein Diskutant unterstellte, sei völlig realitätsfremd:
"Wer, bitteschön, soll heute noch Ansprüche stellen." Derartige
Ängste seien 1920 und 1945 realistisch gewesen, doch spätestens seit
dem Zerfall Jugoslawiens obsolet.
Ein Zuhörer nahm in seiner Wortmeldung Bezug auf die heftigen
Attacken des Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider gegenüber dem
VfGH-Präsidenten. Er meinte: "Ich möchte mich in aller Form für den
Unrat entschuldigen, mit dem Sie, Herr Präsident, beworfen worden
sind." Die überwältigende Mehrheit der Kärntner teile diese Ansicht
nicht. (APA)