Wien - Die Richter am Jugendgerichtshof in Wien waren
fassungslos: Knapp vor 14 Uhr
teilte ihnen Justizminister
Dieter Böhmdorfer am Dienstag per Fax mit, dass ihr Gericht aufgelöst werden soll.
Das Jugendgericht soll in das
Straflandesgericht "integriert"
werden. "Absurd", meinte ein
Richter, "das kann ja nur ein
Scherz sein."Ist es aber nicht: Dieter
Böhmdorfer deponierte am
Dienstag im Ministerrat den
"politischen Willen", den
Wiener Jugendgerichtshof
aufzulösen. An der besonderen Behandlung der Jugendlichen im Strafverfahren soll
aber nichts geändert werden.
Beim Jugendgerichtshof
handle es sich um eine
"rechtsstaatliche Anomalie",
begründete der Justizminister
seinen Reformplan. Hier seien
nämlich in einer Dienststelle
erste und zweite Instanz - also
Bezirksrichter und Richter des
Landesgerichtes - zusammengefasst. Ein Rechtsmittel richte sich also an denselben Gerichtshof. Und das ist, so
Böhmdorfer, "rechtsstaatlich
nicht ganz in Ordnung". Außerdem handle es sich um einen kleinen Gerichtshof mit
nur 16 Richtern.
Gewisse Einsparungen
Die Eingliederung in das
Straflandesgericht soll auch
gewisse Einsparungen mit
sich bringen. Im Ministerium
geht man davon aus, auf sechs
Planstellen im nicht richterlichen Bereich verzichten zu
können. Bei den Richtern
selbst seien keine Personalkürzungen vorgesehen.
Die Auflösung des Jugendgerichtshofs soll bereits mit
1.
Jänner 2003 in Kraft treten.
Für die Zusammenlegung ist
laut Böhmdorfer nur ein einfaches Bundesgesetz - konkret
eine Änderung im Jugend_gerichtsgesetz - notwendig.
Was Udo Jesionek, der Präsident des Jugendgerichtshofs,
von der Auflösung hält, interessiert Böhmdorfer nicht. Er
verweist darauf, dass Jesionek
2003 in Pension geht: "Das berührt ihn also nicht."
Neues Gefängnis
Anlass für die Auflösung
des Jugendgerichts sei laut
Ministerium auch der Umstand, dass junge Erwachsene
(18 bis 21 Jahre) seit 2001 zum
Jugendgericht "gehören", aber
in der normalen Haftanstalt
im Landesgericht in U-Haft
sitzen. Der Aufwand, diese
Personen bei Verhandlungen
hin- und herzuchauffieren, sei
enorm. Künftig sollen jugendliche Häftlinge allesamt in der
normalen Haftanstalt des
Grauen Hauses untergebracht
werden, dort aber einen eigenen Trakt beziehen. Die Justizanstalt Erdberg beim Jugendgericht soll verkauft werden. Mit dem Erlös soll mittelfristig eine neue Strafanstalt
am Rande der Stadt in Wien-
Simmering gebaut werden.
Völlig verblüfft reagierte die
Opposition auf das Vorhaben
Böhmdorfers. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim bezeichnete den Plan als "unglaublich
und jedes bisherige Maß an
politischem Unverstand weit
überschreitend". Er forderte
den Minister auf, von diesem
"skandalösen Alleingang" Abstand zu nehmen. Terezija
Stoisits von den Grünen hält
die Zerschlagung des Jugendgerichtshofes für "reine politische Willkür". Die Stoßrichtung sei klar: Es soll die gute
Arbeit des Jugendgerichtshofes als positives Versuchsfeld
für Justizreformen zunichte
gemacht werden. (pm, völ/DER STANDARD, Print- Ausgabe, 17. 4.2002)