Literatur
Günter Grass und die tabubeladene Vergangenheit
Vertreibung Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg als Thema "zu lange den Rechten überlassen"
Schwerin - Günter Grass
hat die Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung Deutscher am Ende des
und nach dem Zweiten Weltkrieg kritisiert. Die ältere Generation habe
zu lange geschwiegen, sagte der Autor am Donnerstagabend nach einer
Lesung aus seiner Novelle "Im Krebsgang" in Schwerin. Man habe das
schwierige Thema den Rechten überlassen. Dass er mit seinem jüngsten
Buch ein Tabu gebrochen habe, stimme aber nur bedingt. In Deutschland sei es zu jeder Zeit möglich gewesen, über den
Untergang des Flüchtlingsschiffes "Wilhelm Gustloff" nach
sowjetischem Torpedobeschuss am 30. Januar 1945 in der Ostsee zu
reden. "Es ist nur ungenügend getan worden", sagte Grass.
"Ich habe lange gebraucht, bis ich eine
Form dafür fand"
Die Darstellung der Ereignisse durch Walter Kempowski in dessen
Werk "Echolot" ist nach Darstellung von Grass eine Dokumentation,
nicht Literatur. "Und auch ich habe lange gebraucht, bis ich eine
Form dafür fand", sagte der Schriftsteller. Der Stoff habe Jahrzehnte
bei ihm gelegen. Die von den Deutschen im Krieg verübten Verbrechen
hätten lange Zeit im Vordergrund gestanden. "Man wollte in der
Nachkriegszeit auch nichts davon hören", sagte Grass zum Untergang
der "Gustloff". So sei beispielsweise der Film "Nacht fiel über
Gotenhafen" von 1959 über die Tragödie kein Publikumserfolg gewesen.
(APA/dpa)