Inland
Jugendgerichtshof: Jarolim appelliert an Bundespräsidenten
Scharfe Kritik an Böhmdorfers "Justizpolitik im Zeichen des Zwanges"
Wien - SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim appelliert an
Bundespräsidenten Thomas Klestil, sich für die Erhaltung des Wiener
Jugendgerichtshofes (JGH) einzusetzen. Der Bundespräsident habe mit
der auf sein Drängen eingesetzten Enquetekommission verhindert, dass
die Diversion zurückgenommen wird. Auch der JGH sei "eine
Einrichtung, die es verdient, dass man darum kämpft", so Jarolim
Freitag in einer Pressekonferenz. Scharfe Kritik übte er an
Justizminister Dieter Böhmdorfer (F): Dessen Justizpolitik stehe "im
Zeichen des Zwanges". Böhmdorfer hat beim Ministerrat am Dienstag für die Betroffenen
überraschend bekannt gegeben, den Jugendgerichtshof auflösen zu
wollen. Jarolim kritisierte sowohl Inhalt als auch den Stil scharf:
Böhmdorfers Reformen würden "aus seinen plötzlichen Eingebungen
entstehen, die dann mit Zwang umgesetzt werden". "Verantwortung" sei
ein Wort, das in dieser Justizpolitik nicht mehr existiere, sie sei
vielmehr gekennzeichnet von "bodenloser Sorglosigkeit": "Da wird
gefuhrwerkt zu Lasten der Bevölkerung". Der Minister zeige kein
Interesse, konsensual vorzugehen oder Betroffene bzw. Fachleute
einzubinden. Im Gegenteil, führe er "einen Kampf gegen alle, die er
als seine Gegner ansieht, das ist fast der ganze Justizbereich".
Paradebeispiel für Rückfallverhinderung
Jarolim hofft, dass es über den Einfluss des Bundespräsidenten
doch gelingen könnte, in Sachen JGH eine Diskussion der Fachleute
herbeizuführen, "wo noch rechtzeitig allen vor Augen geführt wird,
was das auslösen wird". Ein geeignetes Gremium wäre die immer noch
tagende Enquetekommission.
Beim Jugendgerichtshof gehe es "darum, wie dieses Land mit der
Kriminalität umgeht." Der JGH sei das Paradebeispiel für
Rückfallverhinderung - mit der geringsten Rückfallsquote - durch
gute, auf die Jugendlichen abgestimmte Vorbereitung auf das Leben
nach der Haft. Ausbildung oder Sportmöglichkeiten würden dort in
einem Ausmaß angeboten, wie es im Landesgericht nicht der Fall sein
könne. Der im JGH gepflogene positive Umgang mit den Jugendlichen sei
"positiv für die Gesellschaft", so Jarolim.
Er kritisierte überdies, dass der Justizminister die Übersiedlung
der drei Gerichte der Riemergasse in den neu zu bauenden Vienna City
Tower in Wien-Landstraße plane - gegen die Ablehnung des zuständigen
Präsidenten des Oberlandesgerichtes, Alois Ramoser. Die jährlichen
Kosten für die Gerichte würden damit um 50 Mill. S (3,63 Mill. Euro)
steigen. "Da schmeißt man das Geld beim Fenster hinaus, das anderswo
- bei Richterposten z.B. - fehlt", so Jarolim.
Caritas appelliert "dringend" an Böhmdorfer
Mit einem "dringenden Appell", den Jugendgerichtshof
(JGH) nicht zu schließen, hat sich der Wiener Caritasdirektor Michael
Landau an Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) gewandt. Die Auflösung
wäre "ein denkbar schlechtes Signal und ein Schritt in die völlig
falsche Richtung", so Landau in einem Brief. Aus den Erfahrungen der
täglichen Caritas-Arbeit gerade auch mit jüngeren Klienten befürchte
Landau massive Nachteile für die betroffenen Jugendlichen und jungen
Erwachsenen.
Landau warnte laut Kathpress davor, "jugendliche und erwachsene
StraftäterInnen" im Landesgericht für Strafsachen - wohin die
Jugendagenden übersiedeln sollen - in "strukturelle Nachbarschaft" zu
bringen. Die negativen Folgen davon würden "auf der Hand liegen".
Jugendgerechte Strukturen seien - auch in der Justiz - sinnvoll und
notwendig: "Es geht um Reintegration, um stützende und fördernde
Maßnahmen und Strukturen für junge Menschen als tragfähige Basis für
das weitere Leben."
Außerdem ist Landau besorgt, "ob hier nicht erste Schritte in
einer Richtung gesetzt werden, die die Notwendigkeit einer besonderen
Behandlung von Jugendlichen im Strafverfahren generell in Frage
stellt". (APA)