Wien - Wolfgang Riebniger ist Lehrer an einer etwas anderen Pflichtschule - er unterrichtet straffällig gewordene Jugendliche am Wiener Jugendgericht. Noch. Denn sollte der Plan von Justizminister Dieter Böhmdorfer umgesetzt und das Jugendgericht in das Landesgericht für Strafsachen "übersiedelt" werden, wäre es auch um die vorbildliche Betreuung der Jugendlichen geschehen, fürchtet Riebniger. Am jetzigen Standort in der Rüdengasse "kennt jeder von den 30 Beamten im Gefangenenhaus jeden Burschen persönlich", so Riebniger. Die enge Bindung in einem flexiblen Netz von Betreuern aus dem Bereich der Bewährungshilfe, des Jugendamtes der Stadt und ähnlichen Einrichtungen biete den Jugendlichen nicht nur "Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Solidarität und Hilfe", sie sei auch strukturelle Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Resozialisation.Diese sei im "Grauen Haus" weder aufgrund der baulichen noch der personellen Infrastruktur möglich, ergänzt Jugendanwältin Monika Pinterits: "Da werden dann jugendliche Verbrecher gemeinsam mit alten Knackis eingesperrt. Aus dem Bauch heraus wird das Jugendgericht zerschlagen, keiner redet mit Experten, keiner überlegt, was wirklich sinnvoll ist." Prophylaxe und Prävention Es gehe nicht nur um eine Veränderung der Lokalität, sondern um die Frage, wie mit straffälligen Jugendlichen umgegangen wird. Alle Experten seien einig, dass der Weg der Prävention der richtige sei - und die gute Kooperation aller Einrichtungen am Jugendgericht sei der "Garant für Prophylaxe und sinnvolle Prävention". Als "einen der massivsten Angriffe des Ministers gegen die Vernunft" bezeichnete SP-Justizsprecher Hannes Jarolim Böhmdorfers Ankündigung. Der Jugendgerichtshof sei ein "Erfolgsmodell mit hoher internationaler Reputation", betonte Jarolim: "Wenn man schon nicht von Menschlichkeit sprechen möchte, sollte man doch erkennen, dass der JGH zur hervorragenden Kriminalitätsstatistik und damit einem geringeren Gefährdungspotenzial für die ganze Bevölkerung beiträgt." Statt den JGH in Wien aufzulösen, wäre es klüger, "bundesweit spezielle Jugendgerichte einzuführen". Die Zerstörung des Netzwerkes von Richtern, Staatsanwälten, Jugendgerichts- und Bewährungshilfe, Justizwachebeamten, Psychologen, Lehrern und Polizei werde direkt eine Erhöhung der Kriminalitätsrate bewirken. Was von dieser Struktur gerettet werden kann, ist für keinen der drei absehbar: "Wir wissen es nicht, weil wir keine Informationen aus dem Ministerium haben." (kob, DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2002)