Wien - Treffen einander ein Sicherheitschef und ein Architekt vor dem Wiener Architekturzentrum. Meint der Architekt zum Kriminalisten, "Leute wie dich, hat schon Karl Marx gesagt, bringt das Verbrechen hervor."

Kein Witz, das war vielmehr Auftakt zu einer faszinierenden Busreise. Tourführer Max Edelbacher, Wiener Sicherheitschef, lebt tatsächlich vom Verbrechen, wie ab und zu Architekt und Marx-Fan Michael Zinganel, wenn er ihn philosophierend begleitet. Gut 50 Mordsneugierige haben sich mit ihnen aufgemacht. Gespannt zu erfahren, wo und wie in Wien bereits gemordet wurde.

Bei der Fahrt durch die Stadt kommen Edelbacher und Zinganel sofort zur Sache. "Rund um den Ring", legt Zinganel los, da hat sich's immer blutrünstig abgespielt. Ist er doch strategisch klug mit Schussfluchten angelegt. Kaum ein Prachtbau, zu dem Edelbacher, wenn schon nicht aus eigener dreißigjähriger Erfahrung, so doch aus der Historie erzählen kann. Zwei Morde aus Liebe geschahen an der Universität, die Votivkirche erinnert an das Attentat auf den jungen Kaiser Franz Joseph I. Das "Dreimäderlhaus" an der Mölkerbastei "war nicht nur Ort von Schuberts lieblichen Begegnungen", scherzt der Kriminalist, dort hat auch der Schmied Raimund Lewisch die Anna Gangisch erwürgt, enthauptet und zerstückelt - und danach in den Donaukanal geworfen. Das zuletzt verspeiste Gulasch im Magen der Toten hat die Kriminalisten auf seine Spur gebracht. Sie hatten gemeinsam zu Abend gegessen.

Spuren am Bau

In einer Doppelconference führt das ungleiche Reiseleiterduo durch die Stadt. Immer mit Verweis auf den Zusammenhang von Architektur und Kriminalgeschichte. "Die Lage und der Bau der Roßauerkaserne ist strategisch irrsinnig gut gewählt", begeistert sich Edelbacher. Zinganel erläutert, was die Terroranschläge in New York für die Sicherheitschecks im Millennium Tower bewirkt haben - noch mehr Kontrolle.

Am deutlichsten ist der Konnex von Gebäudegestaltung und Verbrechen in Favoriten zu erkennen. Dort haben die Morde an Nicole Strau, Alexandra Schriefl und Christina Beranek "auch sichtbare Veränderungen im Staumauerbau der Per-Albin-Hansson-Siedlung hinterlassen", erklärt Zinganel. Lange, unübersichtliche Gänge wurden in kleinere Einheiten abgeteilt, dunkle Liftschächte erhellt.

Kurzum, unter dem Eindruck dieses Schocks wurde versucht, die riesige Wohnanlage offener zu gestalten. Für Edelbacher ("Ich habe die Bilder der Mordopfer unauslöschlich im Kopf") ein wichtiger Sicherheitsaspekt. "Verhindern kann man Morde eh nicht." Die von Marx beschriebene Produktivkraft des Verbrechens ist nämlich nicht zu stoppen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4./5. 5. 2002)