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Tenor Thomas Quasthoff

Foto: APA/dpa/ Peer Grimm

Von Ljubisa Tosic

Wien – Ein Lied – das sind zumeist drei, vier Minuten, in denen sich ganze Schicksale entscheiden. Jenes, der im Lied auflebenden Figuren. Jenes des Liedes und auch das seines Interpreten. Die letzten beiden, Lied und Interpret, sind bei Thomas Quasthoff eine nicht mehr zu unterscheidende Zaubereinheit. Die wenigen Minuten, die so eine Miniatur bietet, nutzt der deutsche Bariton mit profunder Tiefe, um eine Geschichte zu erzählen, von der man immer glaubt, es sei die seine.

Nacherleben, erleben, im Lied leben. Quasthoff tut all dies. Und sein Basismittel ist die Intensität (etwa bei Hugo Wolfs Der Genesene an die Hoffnung) – durch sie wird er zum großen Rhetoriker der Unmittelbarkeit. Es hat sich natürlich herumgesprochen, dass ihm dabei ein luxuriöses Ausdrucks- und Farbrepertoire zur Verfügung steht. Da ist die unglaubliche Wortdeutlichkeit, die jedes Abdrucken von Texten in Programmheften überflüssig erscheinen lässt. Da ist auch der sparsame Einsatz des Vibrato. Er ermöglicht eine glasklare Lyrik, die nicht einfach schön ist, vielmehr eine unendliche poetische Verlorenheit vermitteln kann und im Verbund mit der graziösen Legato-Kultur narkotisierend wirkt (Schuberts Grenzen der Menschheit).

Etwas einsingen

Nicht zu vergessen Quasthoffs tiefe Lage. Hier entfaltet er eine grimmige, dämonische Präsenz, die auch im exponierten Lautstärkebereich ungefährdet bleibt und den großen Musikvereinssaal gleichsam zum Brahmssaal werden lässt (Schuberts Prometheus). Auch Quasthoff muss sich natürlich ein wenig einsingen; es dauert ein Schubert-Lied, bis er langsam aber sicher alle Möglichkeiten entfalten kann.

Die reichen dann von flexibler Darstellungskunst (beim Erlkönig ein wunderbarer Wechsel zwischen den drei "sprechenden" Figuren) bis hin zur Entführung in die Dunkelheit von Brahms' Vier ernsten Gesängen. Dabei ist das freie Schweben seiner Stimme gleichsam auf dem Gipfel des Lyrischen und Gestalterischen. Auch dank Klavierbegleiter Justus Zeyen, der jederzeit zu inspirierender Differenzierung und zum Mitatmen befähigt ist.

Auch Dirigent Sir Simon Rattle, der Quasthoff zur Oper bringen wird, war Zeuge. Standing Ovations.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 04./05.05. 2002)