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Foto: Archiv
Ein Straßenstück, das 146 Kilometer schnurgerade verläuft, ohne die geringste Andeutung einer Kurve. Das bietet der Eyre Highway durch die Nullarbor-Ebene im Süden des australischen Kontinents. Einem echten Kurven-Aficionado, dem sich windende Bergstraßen erst den richtigen Kick geben, mag dies ein Szenario unüberbietbarer Langeweile sein. Wer aber die Weite - zum Beispiel des offenen Meers - liebt, für den ist die Nullarbor richtig. Über das Land wird hier "gesegelt".

Die Grenzen sind vage, der Horizont fern, der Himmel weit. Und über mangelnden Wind lässt sich auch nicht klagen. Die Nullarbor, dieses beachtlich menschenleere Stück Land zwischen den beiden australischen Welten des Ostens und des Westens übt auf den Reisenden aus dicht besiedelten Teilen der Welt mehr Faszination aus als auf den raumverwöhnten Australier selbst. Demgemäß hat das intensive Erleben der Weite es besonders japanischen Radfahrern angetan.

Von Ceduna in Südaustralien, dem so genannten Tor zum Nullarbor, bis Norseman in Westaustralien sind es immerhin ziemlich gerade 1200 Kilometer. Nur an einer Stelle wird die "Endlosigkeit" ins Gegenteil verkehrt, und zwar dort, wo die erst seit 1969 durchgängig asphaltierte Straße, der Eyre Higway, sich den Bunda Cliffs nähert. Hier ist eindeutig das Ende - von Australien. Hier hört der Kontinent auf und plumpst abrupt und ohne Vorwarnung in einer 80 bis 100 Meter hohen Stufe in das Grüntürkisblau des Südmeeres hinunter. Dann fängt sie wieder an, die Endlosigkeit, und reicht bis in die Antarktis. Der Anblick dieser eindrucksvollen Stufe ohne Geländer, der an fünf ausgewählten Stellen genossen werden kann, ist einer der spektakulärsten in ganz Australien. Und kein Hotel, kein Imbiss- und Souvenirstand weit und breit trübt die Ursprünglichkeit der Szenerie.

Die Große Australische Bucht, Great Australian Bight, wie sie genannt wird, ist eine der unberührtesten Küsten der Welt. Dass die Nullarbor völlig baumlos sei, wie die lateinische Herkunft des Namens suggeriert, trifft nur in einem kleinen Bereich zu. Aber das tut der Endlosigkeit keinen Abbruch. Auch wenn die Dimensionen sich nur in die Kategorien "groß" und "weit" einordnen lassen, die Fahrt lebt auch von den kleinen, feinen Dingen.

Zum Beispiel von dem Spaziergang in den Dünen von Eucla, wo eine alte Telegrafenstation je nach Windverhältnissen fast gänzlich im Sand verschwindet und dann wieder auftaucht. Oder von einem Besuch am Cactus Beach, um die Wellenreiter zu beobachten. Den Wellen-Aficionados können weder die Abgeschiedenheit noch die häufig vorkommenden Weißen Haie (White Pointer) die Freude rauben, auf Castles, Caves und Cactus - die Wellen haben tatsächlich Namen - zu reiten.

Dann sind da auch noch die zwangsläufig notwendigen Stopps an den 100 bis 200 Kilometer auseinander liegenden Road-Houses, da man ja kaum mit leerem Tank irgendwo in der Mitte von Nirgendwo hängen bleiben will. Nahrung und Unterkunft gibt es in Form eines Motelzimmers oder eines Caravan-Parks. An diesen neuzeitlichen Tankstellen-Motel-Karawansereien sind sie anzutreffen - die schrullig-freundlichen Urgestein-Australier, die, geprägt von der Endlosigkeit, ihren eigenen Humor entwickelt haben.

Logischerweise lässt sich die Nullarbor in beide Richtungen bereisen. Von West nach Ost bringt einen der Rückenwind rascher voran. Zudem hat man schon zum Auftakt das unbeschreiblich farb- und schmucklose Nest Norseman hinter sich gebracht und kann sich auf Ceduna freuen. Für den umgekehrten Fall spricht, dass man sich in Ceduna mit einem sensationell schmeckenden King-Whiting-Filet, einem Fisch der Extraklasse, auf die Reise einstimmen kann und unweigerlich in guter Stimmung in Richtung Westen fährt. Dann sollte man aber tunlichst darauf achten, in Norseman nicht anzuhalten, sondern gleich nach Kalgoorlie weiterzufahren. Diese moderne Goldgräberstadt und ein gutes Bier im seit 1897 existierenden "Tart 'n' Miner Scottish Pub" bilden einen perfekten Abschluss der Nullarbor-Durchquerung.

Zeit spielt in der Nullarbor eine untergeordnete Rolle. Auf der zwei- bis dreitägigen Fahrt durch die Zeitzonen wird die Uhr nicht, wie man annehmen könnte, um jeweils eine oder eine halbe Stunde vor-oder zurückgestellt. Die Nullarbor ist eine der ganz wenigen Gegenden der Welt, wo der Zeiger auch um eine Dreiviertelstunde hin und her gerückt wird.

Gefährlich ist die Reise durch die Nullarbor nicht. Außer einer der vielen Road-Trains kommt einem in die Quere. Dann hilft nur, das Lenkrad so lange krampfhaft festzuhalten, bis man den Turbulenzbereich der bis zu 53 Meter langen Markenzeichen des australischen Transportwesens verlassen hat. Aber Sturm und Strudel gibt es auch auf dem Meer, und ein bisschen Schlingern kann man auch beim Segeln übers Land aushalten. (Volkmar Klaus Pamer/DER STANDARD, Printausgabe)